IV. ABSCHNITT.
Das achtzehnte Jahrhundert.
I. Kapitel.
Wissenschaftliche Leistungen und Kulturfortschritt im „saeculum philo-
sophieum“‘,
Lävancement et la perfection des mathematiques
sont intimement lies ä la prosperite de Vetat.
Napol&on L in einem Brief an Laplace,
Zur Kennzeichnung der Bestrebungen, welche der Kulturarbeit in dem
auf das mathematische Jahrhundert folgenden Zeitraum ihr besonderes
Gepräge verleihen, hat das 18. Jahrhundert den Beinamen „das philo-
sophische‘“ erhalten. In ihm beginnt Deutschland an dem Geistesleben
der Völker wieder hervorragenden Anteil zu nehmen. Wie nachhaltig
die durch den Dreißigjährigen Krieg hervorgerufene Erschütterung der
materiellen Grundlagen des Lebens war, das zeigt sich sogar in dem
ideologischen Überbau der realen Lebensbedingungen. Man war um das
materielle Fundament des geistigen Lebens besorgt geworden und begann
seiner Sicherung selbst in der Philosophie Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Daher zunächst die eigentümliche Verbindung von Frömmigkeit und
Gemeinnützigkeit in dem Streben der spezifisch deutschen Geistesrich-
tung des Pietismus, die um die Wende des 17. Jahrhunderts entstand
and ein Menschenalter hindurch die herrschende blieb. Diese Betonung
der irdischen Wohlfahrt, die den Pietisten nur ein Ausfluß werktätiger
»hristlicher Nächstenliebe war, sonst aber ganz gegen die Sorge um das
ewige Wohl als ihr letztes und einziges Ziel zurückstehen sollte, half im
gewissen Sinne den erbittertsten Gegnern des Pietismus, den Philosophen
der Aufklärung, den Boden bereiten, die lediglich in der Hebung des zeit-
lichen Wohles der Menschheit ihre Aufgabe sahen und nach Verdrängung
des Pietismus dem Zeitalter Friedrichs des Großen sein philosophisches
Gepräge verliehen: Ihrer Herrschaft bereitete dann die Vertiefung der
philosophischen Anschauungen durch Kant ein jähes Ende, dessen Philo-
sophie um die Wende des Jahrhunderts die Aufklärungsphilosophie wie
Spreu hinwegfegte und die nächste Epoche des philosophischen Denkens
einleitete.