Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

176 IV. Abschnitt: Das achtzehnte Jahrhundert. 
ständigen, dem Geschichts- und Altertumsforscher verschafft, schlechter- 
dings unentbehrlich. Der Nutzen, den sie leistet, 1äßt sich hauptsächlich 
auf folgende Punkte bringen. 1. Sie liefert ihm einen Schatz von Wahr- 
heiten, von denen er mit der vollkommensten Gewißheit einsehen kann, 
daß sie Wahrheiten sind, und zwar solche, die er ohne alle Begriffe der 
Erfahrung bloß aus sich selbst geschöpft hat. 2. Ohne Mathematik ist 
keine gründliche Kenntnis der Natur möglich. Und die Physik kann 
sich nur dort einer vollkommenen Gewißheit rühmen, wo sie Mathematik 
anwendet, die Vorgänge in Formeln kleidet. Sie ist das geschickteste 
Mittel, sowohl unsern Geist zu erheben, als ihn vor törichtem Eigendünkel 
zu bewahren, indem keine Wissenschaft fähiger ist, uns die menschliche 
Vernunft einesteils in ihrer wahren Größe und Würde darzustellen, andern- 
teils uns aber ihre Schranken selbst da sichtbar zu machen, wo man die 
größte Leichtigkeit und Klarheit erwarten sollte. 4. Sie belohnt die Mühe, 
mit welcher man ihre Bekanntschaft sucht, schon reichlich durch das reine, 
unschätzbare Vergnügen, das sie ihren Liebhabern gewährt. Dieses Zeugnis 
hat ihr von jeher ein jeder ihrer Kenner gegeben. Ihr wichtigster Nutzen 
ist aber die Schärfung des Verstandes und die Übung desselben im gründ- 
lichen Urteilen, ja selbst im Erfinden. Neue Wahrheiten zu erfinden ist 
zwar nicht jedermanns Sache; aber desto angenehmer muß es doch dem, 
der sich mit der Analysis bekannt gemacht hat, sein, wenn er sich wenig- 
stens imstande fühlt, verlangte Sätze, ohne zu wissen, ob sie bereits ent- 
deckt sind, selbst zu erfinden. Schärfung des Verstandes aber und Übung 
im gründlichen Urteilen ist unentbehrliches Bedürfnis für jeden Studieren- 
den. Allein diesen, einem jeden Studierenden so nötigen Vorteil kann ihm 
keine Wissenschaft in dem Grade verschaffen, als die Mathematik. Denn 
da Urteilskraft überall Anschauung, folglich Klarheit und Evidenz zur 
Seite hat, so geht sie in der Anwendung der Logik überall sicher, folglich 
ist sie imstande, jeden Fehlschuß und jede Lücke, so versteckt sie immer 
sein mögen, sehr leicht zu entdecken. Auf diese Art gewöhnt sie sich 
immer mehr, wahre Einsicht von scheinbarer Täuschung mit Sicherheit 
zu unterscheiden, und so ist das Studium der Mathematik eine beständige, 
und zwar die zuverlässigste und praktischste Logik, mithin die beste 
Schule für die Urteilskraft. Dieser Vorteil wird noch viel mehr durch die 
strenge Methode gefördert, die sich außer der Mathematik nirgends so 
genau und vollkommen anbringen läßt. Will man sich den also vollkommen 
beschaffen, so muß man das Studium der Mathematik auch durchaus 
nach dieser strengen Methode unternehmen. Euklides wußte selbst Königen 
keinen Weg zur Geometrie zu ebnen, und in der Tat wird auch durch 
jedes solches versuchtes Ebnen des Weges, so angenehm es auch scheint, 
das Studium der Mathematik weit mehr erschwert als erleichtert. Es ist 
also nötig, daß man sich gleich anfangs von der mathematischen Methode
	        
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