198 IV. Abschnitt: Das achtzehnte Jahrhundert.
streckte sich nicht nur auf preußische Anstalten, er dehnte sich auch auf
andere Landesteile Deutschlands, ja auf außerdeutsche Länder aus. Dieser
Einfluß hätte nicht so bedeutend werden können, wenn nicht alle einsichts-
vollen Männer wie auch die Landesfürsten selber von der Notwendigkeit
der Gründung und besseren Einrichtung der Schulen überzeugt gewesen
wären. Semler, der Gründer der ersten Realschule, gibt nur der allgemeinen,
den Geist der Zeit beherrschenden Ansicht Ausdruck, wenn er sagt: „Schulen
sind des Landes Herz, daran Geist und Leben hänget; Schulen sind ein
Heiligtum, da man das hohe Lied anfänget. Schulen sind der Grund, auf
welchen aller Länder Heil bestehet. Schulen sind ja Gottes Tempel und
des Himmels Pflanzgebeet.‘“ Welche Hoffnungen man an die Einführung
der Realien knüpfte, wie durchdrungen man von der Überzeugung war, mit
dem Unterricht in den Realien der Jugend hinsichtlich ihrer Ausbildung
eine wahre Wohltat zu erweisen, das zeigt folgender Ausspruch desselben
Semler: „Die Schulen sollen durch die Einführung der Realien aus Marter-
stuben der Jugend zu lauter Freudenstuben werden.“
In Deutschland griff die pietistische Strömung zuerst nach Braunschweig
hinüber, wo durch die Volksschulordnung von 1751 die Schulbücher des
Franckeschen Waisenhauses eingeführt wurden und Zwicke, der Direktor
der Waisenhausschule, eine Realschule nach Heckerschem Vorbild gründete.
Auch in Süddeutschland machte sich die Strömung durch die Gründung
einer Realschule in Erlangen. bemerkbar. Resewitz gründete 1770 eine
Realschule in Kopenhagen; der Zögling der Heckerschen Schule Felbiger,
später Abt in Sagan, ordnete nach dem Siebenjährigen Kriege das Schul-
wesen in der neuerworbenen Provinz Schlesien und verwirklichte dabei
Heckersche Ideen. Als 1773 der Jesuitenorden aufgehoben wurde, riefen
Maria Theresia und Kaiser Joseph II. ihn nach Österreich, für das er 1774
eine allgemeine Schulordnung ausarbeitete. Auch die Zarin Katharina II.
wandte den Heckerschen Bestrebungen ”?) ihre Aufmerksamkeit zu, so daß
die pädagogischen, die Pflege der Mathematik und der Realien fördernden
Ideen des Pietismus in fast allen Ländern Europas einen Niederschlag zu-
rückgelassen haben.
In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde die Strömung des
Pietismus von der des Philanthropismus abgelöst, dessen Vertreter in ihren
pädagogischen Bestrebungen auf dem Prinzip Rousseaus, der Rückkehr
zur Natur-in Schule und Leben, fußten. So schroff auch in gewisser Hin-
sicht der Gegensatz der von diesem Prinzip ausgehenden Philanthropi-
nisten zu den Pietisten war, ja so feindselig sich schließlich beide gegenüber-
standen, so arbeiteten beide Richtungen doch gleich eifrig auf einen aus-
gedehnteren Betrieb der Mathematik und Naturwissenschaften im Unter-
richt der Jugend hin, ja es läßt sich hierin ein direkter Zusammenhang
zwischen ihnen nachweisen. Ehe Basedow, der Begründer des Philanthro-