II. Kapitel: Unterricht im 18. Jahrhundert. 205
und Gymnasialdirektoren, wie z. B. Gedike vom Grauen Kloster in Berlin,
in die Reihen der Philanthropen übertraten.
Daß in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts die Gymnasien ihre
Lehrpläne zugunsten einer größeren Pflege der Mathematik und einer
Berücksichtigung auch der Realien umzugestalten beginnen, dazu trägt
neben den vom Pietismus und Philanthropinismus ausgehenden pädago-
gischen Strömungen auch der Umstand bei, daß sich in den Anschauungen
über die Aufgabe des altsprachlichen Unterrichts an den Gelehrtenschulen
ebenfalls eine Umwälzung vollzieht. Der alte humanistische Lehrbetrieb
hatte schon bei Beginn des Jahrhunderts sein Ansehen fast verloren und
damit seine Widerstandskraft gegen Neuerungen eingebüßt. Sein Lehrziel
war die völlige Beherrschung der alten Sprachen im mündlichen und
schriftlichen Gebrauch, und die Erreichung dieses von vielen Gymnasial-
pädagogen selbst als dira necessitas empfundenen und auch bezeichneten
Lehrziels ließ wenig Zeit zu anderen Studien übrig. Demgegenüber dient
dem Neuhumanismus die Pflege der alten Sprachen nur dazu, den Ver-
stand, die Einsicht, das Urteil und den Geschmack der Jugend zu bilden.
Da nun der Wert der Mathematik für die Bildung des Verstandes längst
anerkannt und auch oft genug hervorgehoben war, so bestand zwischen
ihr und den alten Sprachen kein Gegensatz mehr, ja der neue Humanismus
mußte schließlich selbst die Mathematik als unentbehrlich für die Aufgabe
der Ausbildung des Geistes ebensosehr heranziehen, wie der alte Humanis-
mus sie vernachlässigt hatte.
Daher ist denn auch dem ersten Begründer des Neuhumanismus, Johann
Matthias Gesner (1691—1761) die Mathesis das zweite Auge des mensch-
lichen Geistes, und er erkennt ihr eine Bedeutung zu, die ganz unabhängig
von ihrem praktischen Nutzen nicht hoch genug zu veranschlagen sel.
Seine Ansichten über die mathematischen Wissenschaften hat er aus-
führlich schon in seiner Jugendschrift ‚,Institutiones rei scholasticae‘““
(Jena 1715) niedergelegt. Schon hier bezeichnet er die reine Mathematik
als ausreichend für die Schulen und nimmt von den zahlreichen Disziplinen
der angewandten Mathematik Abstand: Die mathesis applicata kann füglich
für die „academia‘‘ reservieret bleiben, braucht in den „Scholis inferioribus““
nicht getrieben zu werden. Auch die unter seinem Einfluß entstandene
Braunschweig-Lüneburgische Schulordnung vom Jahre 1737 enthält wich-
tige Bemerkungen über den Unterricht im Rechnen, in der Arithmetik
und der Meßkunst, d. h. Geometrie, die verraten, wie weit er in seiner Auf-
Fassung über den bloßen Nützlichkeitsstandpunkt Franckes hinaus war.
Besondere Aufmerksamkeit wandte er auch der Ausbildung von Lehrern
zu, richtete zu dem Zweck das Seminarium philologicum in Göttingen ein,
und hier steht unter den Vorlesungen, die zu hören jedes Mitglied des
Seminars verpflichtet war, ein Cursus mathematicus obenan, „in welchem