206 IV. Abschnitt: Das achtzehnte Jahrhundert.
zum wenigsten die Rechen- und Meßkunst, die Lehre von dem Welt-
gebäude oder allgemeine Astronomie, item die ersten Gründe der Be-
wegungs- und Hebekunst oder Mechanik traktieret werden‘. Auch ein
Collegium physicum war vorgeschrieben, doch bleibt es sehr zweifelhaft,
ob dies nicht mehr eine Vorlesung über Physik im Sinne Melanchthons
als im heutigen Sinne des Wortes war. Seine „Vorschläge von Ver-
besserung des Schulwesens‘‘ enthalten keine Andeutung, daß er einen
eingehenderen Betrieb der Physik und der Naturwissenschaften für not-
wendig erachtete.
Was Gesner für Braunschweig und Hannover war, wurde sein Freund
und Nachfolger als Rektor der Thomasschule in Leipzig, Johann August
Ernesti (1707—1781), für Sachsen. Seine 1734 erschienenen ‚, Initia doctri-
nae solidioris“ beginnen mit einem Abriß der Arithmetik und Geometrie,
der zwar nach unsern jetzigen Begriffen ziemlich dürftig erscheint, jedoch
für jene Zeit um so höher zu veranschlagen ist, als er von einem Manne
herrührt, dessen eigentliches Feld die Philologie war. Wie Gesner hat
auch Ernesti in einer Schulordnung für die Durchführung seiner Ansichten
über das höhere Schulwesen gewirkt. Von ihm ist die „erneuerte Schulord-
nung für die kursächsischen drei Fürsten- und Landesschulen Meißen,
Grimma und Pforta‘“ (1773) entworfen, die auch bestimmte Vorschriften
über den Betrieb der Mathematik nach Umfang, Inhalt und Methode ent-
hält. Besonders wichtig ist ihm die Geometrie, und seine Bemerkungen,
wie er sie vorgetragen wissen will, zeigen, daß er völlig auf dem Boden
der Gesnerschen Anschauungen steht und die Mathematik nicht um ihrer
nützlichen Anwendungen, sondern um ihrer formalbildenden Kraft willen
in den Unterricht der höheren Schulen hineinzieht. So beginnen Gesner
und Ernesti den mathematischen Unterricht von dem Nützlichkeitsstand-
punkt loszulösen und weisen ihm dadurch eine würdigere Stellung innerhalb
der Lehrfächer des Gymnasiums zu. Mit Recht sagt daher Simon, daß
diesen beiden Männern ein Ehrenplatz in der Geschichte des mathemati-
schen Unterrichts gebührt.”)
Auf den Unterricht in der Physik und den Naturwissenschaften läßt
sich dieses Lob leider nicht ausdehnen. Wohl trägt in Ernestis Initia doc-
trinae solidioris, die als Lehrbuch weitverbreitet waren, der vierte Teil
die stolze Überschrift Physica, allein von unserer heutigen Physik ist nur
wenig darin enthalten. Man erkennt, daß er Melanchthons Physica hier-
für als Vorbild genommen hat, und so bringt er tatsächlich Physikalisches
nur in dem ersten Kapitel des 1. Teiles, der „de corporibus in genere“‘,
sowie im ersten Kapitel des dritten Teiles, das „de aere und de meteoris‘““
handelt. Doch ist das darin Gebotene von zweifelhaftem Werte; nicht
ein einziges Experiment wird beschrieben, ja das Wort nicht einmal
erwähnt, so daß Ernesti es jedenfalls für unnötig hielt, der Jugend zu