Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

Il. Kapitel: Unterricht im 18. Jahrhundert. 209 
schaffen, schrieb er die 1710 in erster Auflage erschienenen „Anfangsgründe 
aller mathematischen Wissenschaften‘, die mehr als ein halbes Jahr- 
hundert auf den deutschen Hochschulen dem Vortrage für die Studierenden 
zugrunde gelegt worden sind. Seine 1713 erschienenen Elementa matheseos 
universae dienten zum Vortrage für die Mathematiker vom Fach. So zog 
Wolff zuerst die Grenze zwischen dem elementaren Teil der Mathematik, 
der Gemeingut aller wissenschaftlich Gebildeten sein sollte, und dem 
Wissen der Fachmathematiker. 
Bei dem damaligen Entwicklungsstande der höheren Schulen war es 
natürlich, daß der Unterricht in beiden Teilen zunächst der Universität 
zufiel. Allein im Verlaufe des 18. Jahrhunderts ‚vollzog sich allmählich 
eine Verschiebung, durch welche jener elementare Teil der Mathematik 
fast ganz in die Aufgabe der Gelehrtenschulen als der Vorbereitungsanstalten 
für die Universität hineingezogen wurde. Auch hierfür wurde Wolff bahn- 
brechend. Bei der „großen Begierde, die er in sich spürte, Verstand und 
Tugend unter den Menschen zu einem höheren Grade zu bringen, ’als bis- 
her unter ihnen angetroffen würde‘, ließ er sich leicht dazu bewegen, 
„einen Auszug aus seinen Anfangsgründen zu bequemerem Gebrauch für 
Anfänger, sonderlich auf Schulen zu verfertigen‘, Dieser Auszug, der 
1717 erschien, erreichte „an Größe nicht die Helffte der Anfangsgründe, 
sollte ihnen aber in Ansehung des Hauptnutzens nicht nachstehen‘“. Daher 
gab er besondere Vorschriften über den Gebrauch des Buches, verlangte 
vor allen Dingen eine sorgfältige Einübung der Arithmetik, Geometrie 
und Trigonometrie und gab schätzbare Winke, in welchem Alter man 
mit diesen Disziplinen auf den Lateinschulen anfangen könne, sowie welche 
Methode man anwenden solle. Obgleich schon vor dem Wolffschen Aus- 
zuge einige zum Gebrauch auf Lateinschulen bestimmte Lehrbücher der 
Mathesis erschienen sind, so hat doch kein anderes solche Bedeutung und 
solche Verbreitung erreicht; auch steht kein anderes mit ihm in der Auf- 
fassung von der Aufgabe des mathematischen Unterrichts auf gleicher 
Höhe. Wolff müssen wir daher als den eigentlichen Vater unserer mathe- 
matischen Schulbücher ansehen. Wenn der Inhalt seines Auszuges, wie wir 
später sehen werden, große Abweichungen von dem der heutigen Lehrbücher 
zeigt, so liegt dies daran, daß sich zu Wolffs Zeiten in dem Vortrage der 
Mathematik auf den Universitäten noch nicht die Trennung der reinen 
Mathematik von der angewandten vollzogen hatte. Erst das Ende der 
Aufklärungsepoche brachte eine Änderung in den Anschauungen von der 
eigentlichen Aufgabe der Universität und wies ihrem Bereich die Pflege 
der reinen Mathematik zu. 
Wolffs Lehrbücher wurden fast in allen deutschen Universitäten, ja sogar 
auch an ausländischen den mathematischen Vorlesungen zugrunde gelegt. 
Auch die zahlreichen im Laufe des 18. Jahrhunderts entstandenen Kom- 
Pahl, Geschichte des math. und naturw. Unterrichts. 14
	        
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