210 IV. Abschnitt: Das achtzehnte Jahrhundert.
pendien tragen fast alle unverkennbar Wolffsches Gepräge, ja sind oft nur
oberflächliche Zusammenstellungen aus seinen mathematischen Büchern.
Der eigentliche Erbe Wolffs wurde auf diesem Gebiet der schon er-
wähnte Kästner. Von tiefer Verehrung für Wolff als den großen Fackel-
träger der Aufklärung erfüllt, suchte er auf dem von ihm betretenen
Pfade weiterzugehen, seine Lehrbücher durch Erweiterung des Inhalts,
durch Ergänzung dessen, was ihm inzwischen notwendig geworden zu sein
schien, sowie durch Vertiefung der Methode zu verbessern.’®) Kästners Lehr-
bücher verdrängten schließlich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts die
Wolffschen und bezeichnen ihnen gegenüber auch einen wesentlichen
Fortschritt. Schon in der Einteilung seines Lehrbuchs spürt man die be-
ginnende Sonderung der reinen Mathematik von der angewandten. Der
erste Teil seines 1758 erschienenen Lehrbuchs behandelt lediglich die Arith-
metik, Geometrie, ebene und sphärische Trigonometrie und die Perspektive.
In ihm haben wir es also eigentlich mit der mathesis pura zu tun. Der
zweite Teil bringt dann „die Anfangsgründe der angewandten Mathematik“,
doch verzichtet er hierin schon auf eine ausführliche Behandlung der
Artillerie, Fortifikation und Baukunst, weil diese sich „in den ordentlichen
Lehrstunden, welche zum Vortrage der Mathematik bestimmt sind, gar
nicht zulänglich lehren lassen‘, und weil „verschiedene geschickte Leute
besonderen Unterricht darin erteilen‘.
Im übrigen steht Kästner ganz auf dem Boden derselben Anschauungen
über die Mathematik wie Wolff. Gleich ihm legt er das Hauptgewicht auf
den Nutzen für die logische Schulung des Verstandes; er verschmäht es nicht
nur, in seinen Auseinandersetzungen über die mathematische Lehrart aus-
führlich ihren praktischen Nutzen für alle Berufsarten darzulegen, sondern
betont immer wieder, daß die mathematische oder euklidische Methode
die einzige sei, die zu sicheren Ergebnissen führe und daher die eigentliche
philosophische Methode genannt werden müsse. Wie Wolff will auch er,
daß die Mathematik in gewissem Sinne Gemeingut aller Gebildeten sei,
und er behält daher die Gliederung der mathematischen Vorlesungen in
einen elementaren Zyklus für alle Studierenden und in einen zweiten Zyklus
für diejenigen, die sich der Mathematik widmen wollen, bei. Ein besonderes,
für Schulen. bestimmtes Lehrbuch hat Kästner nicht abgefaßt, doch wurde
der erste Teil seiner Anfangsgründe noch mehrere Dezennien des nächsten
Jahrhunderts hindurch auf Gymnasien dem mathematischen Unterricht
zugrunde gelegt.
Die Wirksamkeit jener beiden Männer schuf jedoch nicht nur die
Grundlagen, auf denen sich der mathematische Unterricht jener Zeit
aufbaute, auch für den Physikunterricht wurden sie maßgebend. Eigene
Lehrstühle für die Physik gab es damals noch an keiner Universität;
Vorlesungen über Physik zu halten war die Aufgabe des Mathematicus: