II. Kapitel: Unterricht im 18. Jahrhundert. 217
Die Verteilung des mathematischen Lehrstoffs erfolgte natürlicherweise
gemäß der geschichtlichen Entwicklung und Entstehung dieses Unterrichts.
Zunächst wurde das Rechnen getrieben, dann eine Klasse hindurch neben
dem Rechnen die Arithmetik, schließlich die Geometrie und Trigonometrie
neben der Arithmetik und Algebra. Doch erkannte schon Michelsen das
Mißliche dieser Verteilung und befürwortete, mit der Geometrie vor der
Arithmetik zu beginnen, weil jene weniger Abstraktion erfordert. So be-
ginnt also schon am Ende des hier betrachteten Zeitraums die kritische
Prüfung, ob das historisch Gewordene auch den Fähigkeiten der Schüler
angemessen ist. Welchen Fortschritt die Anschauungen über die Mathe-
matik und ihre Pflege im Laufe eines halben Jahrhunderts gemacht haben,
erkennt man, wenn man die oben besprochene Schrift Hähns mit folgenden
Schriften Michelsens vergleicht: „Gedanken über den gegenwärtigen Zu-
stand der Mathematik und die Art, die Vollkommenheit derselben zu ver-
größern‘“ und .„„‚Beiträge zur Beförderung des Studiums der Mathematik“.
Hinsichtlich der Methode kann man diesen Zeitraum mit Unger treffend
als die Epoche der beweisführenden Lehrart bezeichnen. Im Mittelpunkt
des Unterrichts steht das Streben, dem Schüler Klarheit über die Gründe
zu verschaffen, warum das, was ihm gelehrt wird, richtig ist; keine Regel
wird gegeben, kein Lehrsatz ausgesprochen, keine Aufgabe gelöst, ohne
durch einen Beweis die Richtigkeit darzutun. So trat die demonstrative
Lehrart an die Stelle der dogmatischen, das denktätige Können an die
Stelle des bloß gedächtnismäßigen. Diese Lehrart müßte schließlich zur
völligen Überwindung des Nützlichkeitsstandpunktes führen. Wie schwer
dieser zu überwinden war, zeigt eine Äußerung Büschings über den Unter-
richt in der Mathematik im Programm des Gymnasiums zum grauen Kloster
vom Jahre 1768. Er betont darin den praktischen Vortrag, denn der bloß
theoretische oder abstrakte Vortrag sei nicht nur unnütz, sondern schädlich
und daher ebenso zu verwerfen, wie der mechanische Unterricht. Zwar
lernen die jungen Leute die Mathematik auch zur Schärfung des Verstandes,
doch vornehmlich um körperliche Größen richtig ausmessen zu können,
Die „blasse Theorie‘“ könne später kommen. Lehrsätze müßten nur um
ihrer Ausübung willen gelehrt werden, daher sollen nur solche Lehrsätze
gegeben werden, die auch im gemeinen Leben nützlich sind.
Bei dem Bestreben der Pietisten und der Philanthropinisten, den
Unterricht möglichst anschaulich zu machen, ist es natürlich, daß man
im Mathematikunterricht der Gelehrtenschulen sich auch der Anschau-
ungsmittel zu bedienen beginnt, um in den Schülern die Überzeugung
von der Richtigkeit des Vorgetragenen zu Wecken. Leider besitzen
wir nur spärliche Nachrichten darüber, inwieweit man sich im mathe-
matischen Unterricht solcher Anschauungsmittel bediente, daß sie aber
tatsächlich an manchen Schulen vorhanden gewesen sind, beweist die von