II. Kapitel: Unterricht im 18. Jahrhundert. 227
bedenken, so dürfen wir behaupten, daß an den Gymnasien, wo die Physik
dementsprechend getrieben wurde, der Unterricht darin am Ausgange
des 18. Jahrhunderts durchaus nicht dem heutigen nachstand. Die frühere
rein dogmatische Lehrmethode ist geschwunden. Wo es nur irgend die
Verhältnisse und die Lehrmittel erlauben, wird das Experiment als Demon-
strationsversuch herangezogen. Allein einer solchen mehr experimentellen
Gestaltung des Unterrichts stellten sich viele Schwierigkeiten entgegen,
so daß wir uns keine übertriebene Vorstellung von der Pflege der Physik
an den Gymnasien jener Zeit machen dürfen. So charakterisiert Büsching,
Direktor des grauen Klosters in Berlin, den Unterricht in der Naturlehre
an seiner Schule folgendermaßen: „Was wir bringen, macht jedoch nur
die Anfangsgründe aus, und diese sind für ein Gymnasium hinlänglich.
Der Lehrer macht sich nicht nur die Handbücher sondern auch die größeren
Werke unterschiedlicher neuerer Schriftsteller zu nutze und legt seinen
Zuhörern so viel Naturalien und Abbildungen derselben vor Augen, als
wir vorrätig haben und sammeln können. In der Naturlehre werden an-
fänglich nur wenige allgemeine Sätze und Begriffe vorgetragen, nachmals
werden bei dem genaueren Unterricht die Eberhardinischen ersten Gründe
derselben zum Leitfaden gebraucht. Der Lehrer hält sich nicht bei den
Hypothesen der Gelehrten, sondern bei den richtigen Erfahrungen,
auch nicht bei den Beweisen der Schwere und anderer hohen Lehrsätze,
sondern bei den nützlichen und begrifflichen Sätzen auf. Unsere Haupt-
absicht ist, daß die Gymnasiasten die natürlichen Dinge historisch und
richtig erkennen sollen. Mit der Erklärung ihres Ursprungs, der Ursache
und der Art ihrer Wirkung geben wir uns nur alsdann ab, wenn darüber
kein Zweifel noch Streit obwaltet. Es fehlt uns noch an den Werkzeugen
zu Versuchen, welche den deutlichen Unterricht in der Naturlehre so sehr
erleichtern und befördern. Möchten doch wohltätige Personen, nicht nur
um unser Gymnasium sondern um das Gemeinwesen sich dadurch ver-
dient machen, daß sie uns gute Instrumente, insonderheit eine Luftpumpe
schenkten!““
So sind wir wieder bei dem ökonomischen Moment angelangt, das in der
Entwicklungsgeschichte des mathematischen und naturwissenschaftlichen
Unterrichts sich deutlicher als in jedem anderen Lehrfach geltend macht.
Wie die wirtschaftliche Entwicklung im 18. Jahrhundert unaufhaltsam auf
die Einführung der Physik in den Unterricht der höheren Schulen hin-
drängte, so war die Gestaltung dieses Unterrichts, die Beschaffung der
erforderlichen experimentellen Hilfsmittel sowie die Gewinnung tüchtiger
Lehrkräfte wieder von der wirtschaftlichen Fundierung der Schulen ab-
hängig. Wenn nun am Ausgange des Jahrhunderts sogar von den Uni-
versitäten Klage erhoben wurde, daß es an ausreichenden Mitteln zu einem
genügenden Vortrag in der Experimentalphysik fehlte, so sah. es in dieser
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