V. ABSCHNITT.
Das neunzehnte Jahrhundert.
I. Kapitel.
Wissenschaftliche Leistungen und Kulturfortschritt im „saeculum
historieum“.
Sie bauen immerfort Chausseen,
Bis niemand vor Wegegeld reisen kann.
Mit den Wissenschaften wird’s auch so gehen;
Eine jede verlangt ihren eigenen Mann.
Goethe.
Wer, auf der Schwelle des zweiten Jahrtausends stehend, ein Bild von
der im vergangenen Jahrhundert geleisteten Kulturarbeit geben will und
für dasselbe nach einem Beinamen sucht, der all die vielseitigen geistigen
Bestrebungen und bedeutenden Leistungen umfaßt und für das gesamte
geistige Leben charakteristisch ist, dem drängt sich unwillkürlich die Be-
zeichnung: „naturwissenschaftliches Zeitalter‘ auf. Angesichts der ge-
waltigen Umgestaltung, die sich unter dem Einfluß der naturwissenschaft-
lichen Erfindungen und Entdeckungen in dem gesamten sozialen und wirt-
schaftlichen Leben der Menschheit vollzogen hat, erscheint die Wahl einer
solchen Bezeichnung begreiflich. Auch werden, seit Newtons Gravitations-
gesetz den Glauben an die Astrologie beseitigte, seit Franklin „dem Himmel
den Blitz entriß‘‘, alle Erscheinungen auf rein geistigem Gebiet, nicht
nur in der Philosophie, sondern auch in der schönen Literatur und der
Geschichtswissenschaft, von naturwissenschaftlicher Erkenntnis beein-
flußt und von naturwissenschaftlichen Betrachtungsweisen mehr und mehr
durchtränkt. Die Bahnen, in denen das Denken der Menschheit sich be-
wegt, dürfen sich ja überhaupt nicht von dem Wege, auf dem die Mathematik
und die Naturwissenschaften so erfolgreich vorschreiten, zu weit entfernen,
wenn das Denken sich nicht in wage, für die Kultur nutzlosen Spekulationen
verlieren soll. Wenn auch diese Gesichtspunkte den Namen naturwissen-
schaftliches Jahrhundert gerechtfertigt erscheinen lassen mögen, so tritt
doch einerseits in der ersten Hälfte dieses Zeitraums die naturwissenschaft-
liche Denkweise noch nicht so stark hervor, ja wird sogar noch von der
philosophischen Richtung Schellings und Hegels energisch bekämpft,
andererseits könnte ein solcher Name die Auffassung hervorrufen, als