I. Kapitel: Kenntnisse der Alfen.
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überliegenden Seite gezogenen Parallelen bedienten, die Sätze von der
Kongruenz der Dreiecke, der goldene Schnitt, die Kenntnis der fünf regu-
Jären Körper und der Kugel. Die Sphärik der Pythagoreer endlich be-
schäftigte sich mit den Bewegungen der Himmelskörper, für die sie von
der Erde aus folgende Reihenfolge annahmen: Mond, Sonne, Merkur,
Venus, Mars, Jupiter, Saturn, die Fixsterne. Sie suchten sogar die Frage
zu beantworten, in welchem Verhältnis diese Entfernungen zu einander
standen; doch, verleitet durch ihre mystischen Zahlenspekulationen,
auch wohl veranlaßt durch die Zahlenverhältnisse, die die Abhängigkeit
der Tonhöhe von der Saitenlänge ausdrücken, nahmen sie auch für jene
Entfernungen das Obwalten der einfachsten Zahlenverhältnisse an. Da
die Himmelskörper in rascher Bewegung seien, oder vielmehr die Sphären,
an denen sie sich die einzelnen Himmelskörper befestigt dachten, so müsse
durch diese Bewegung ein Ton entstehen. So wurden die Pythagoreer
die Begründer der Lehre von der Sphärenharmonie, die im Altertum wie
im Mittelalter eine wichtige Rolle gespielt hat.
Mit Absicht sind hier die Leistungen des Pythagoras und seiner Schule
etwas ausführlich behandelt worden, um an ihnen zu zeigen, wie die
griechische Denkweise aus der Fülle der überlieferten Einzeltatsachen
neue allgemeine Sätze gewinnt, die ihrerseits wieder zu neuen Fragen
Anlaß geben, wie sie erfahrungsmäßig gewonnene Tatsachen unter all-
gemeine Gesichtspunkte bringt, aus dem übermittelten Wissensschatz
eine Wissenschaft herausarbeitet. Gleich von Anfang an bekommt so
das Wissen der Griechen mit seiner Loslösung von der Überlieferung aus
den alten Stammländern der Kultur eine Richtung ins Philosophische,
stehen ihre mathematischen und naturwissenschaftlichen Kenntnisse in
engem Zusammenhang mit ihrer Philosophie; erst nach Aristoteles beginnt
sich dieser Zusammenhang zu lockern. Hinsichtlich der Mathematik
sei hier auch noch darauf hingewiesen, daß all die großen Männer, denen
die griechische Mathematik ihre Blütezeit verdankt, sich mit dieser Wissen-
schaft beschäftigten, ohne diese Beschäftigung zu einer Erwerbstätigkeit
zu machen, daß sie fast alle in angesehener, unabhängiger Stellung lebten
und bestrebt waren, die Geometrie zu einer vornehmen, aristokratischen
Wissenschaft zu machen. Das ging sogar so weit, daß es dem Hippokrates
aus Chios sehr verübelt wurde, als er nach Verlust seines Vermögens gegen
Bezahlung Unterricht in der Mathematik erteilte, und daß Plato den
Pythagoreer Archytas scharf tadelte, als er das Mysolabium erfand, um
durch eine mechanische Vorrichtung das Problem der zwei mittleren
Proportionalen zu lösen: die Würde der Geometrie werde ganz vernichtet,
wenn diese vom Unkörperlichen und Intellektuellen zum Sinnlichen herab-
sinke und sich wieder an einen Körper halten solle, der so viele lästige
und handwerksmäßige Arbeit erfordere. Obwohl die Geometrie ursprüng-