268 V. Abschnitt: Das neunzehnte Jahrhundert.
schaftlichen Zeitalter“ umgestaltend auf das Kulturbild eingewirkt haben.
Es genüge auf das Gesamtbild des wirtschaftlichen Lebens hinzuweisen,
das unter der stetig wachsenden Einwirkung der Fortschritte natur-
wissenschaftlicher Erkenntnis in unzähligen praktischen Anwendungen
entstanden ist. Mit dem sechsten Jahrzehnt hat sich in Deutschland
der endgültige: Übergang zu der kapitalistischen Wirtschaftsform voll-
zogen, die mit ihrer Massenproduktion und ihrer immer größeren Diffe-
renzierung der Arbeit so tief eingreifende Umwälzungen in unserem wirt-
schaftlichen und sozialen Leben hervorgerufen hat und dadurch unserer
Zeit ihr Gepräge verleiht. Das ideelle Gegenbild der Differenzierung der
Arbeit auf materiellem Gebiet ist eine ebensolche Differenzierung der
geistigen Arbeit, die sich in der Entwicklung vieler Teilgebiete mensch-
lichen Wissens zu selbständigen Wissenschaften äußert. Ein Beispiel
bieten gerade hierfür die Naturwissenschaften, in deren Geschichte der
Zusammenhang der Vorgänge auf der geistigen Bühne des mensch-
lichen Lebens mit den Erscheinungen des materiellen wirtschaftlichen
Lebens besonders klar zum Ausdruck gelangt.
I. Kapitel.
Der mathematisch-naturwissenschaftliche Unterricht unter dem Einfluß
der staatlichen Verfügungen.
Die Vereinigung der verschiedenen Wissenschaften ist nötig, um das gesunde
Gleichgewicht der geistigen Kräfte zu erhalten. Jede einseitige Ausbildung
hat ihre Gefahr; sie macht unfähig für die weniger geübten Arten der Tätig-
keit; namentlich aber treibt sie auch leicht zur Selbstüberschätzung. Und
Selbstüberschätzung ist der größte und schlimmste Feind aller wissenschaft-
lichen Tätigkeit. Helmholtz.
Wie das achtzehnte so trägt auch das neunzehnte Jahrhundert zur
Kennzeichnung der in ihm sich vornehmlich bemerkbar machenden
Geistesrichtungen einen doppelten Namen: saeculum philologicum oder
historicum. Beide Bezeichnungen stehen in innigem Zusammenhange,
den ihre Reihenfolge schon andeutet. Die Richtung auf das Historische
setzt naturgemäß eine hohe Wertschätzung der alten Sprachen voraus
und wurzelt daher in der Pflege der Philologie, in welcher die während
der letzten Dezennien des vorigen Jahrhunderts zur Blüte gelangende
neuhumanistische Auffassung einen Aufschwung ohne gleichen hervor-
ruft, Der mit den Bestrebungen Gesners und Ernestis beginnende Neu-
humanismus findet durch Heyne (1729—1812) und vor allen Dingen
Friedrich August Wolf (1759—1824) seine völlige Ausbildung, und sein
belebender Hauch durchdringt alle pädagogischen Bestrebungen, die eine
höhere Bildung zum Ziel haben. Begeisterte Neuhumanisten sind auch