Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

2714 V. Abschnitt: Das neunzehnte Jahrhundert. 
In dem „Edikt wegen Prüfung der zu den Universitäten übergehenden 
Schüler“ vom 25. Juni IW12 finden wir für die Mathematik und für die 
Naturlehre ein bestimmt formuliertes Maß der Kenntnisse. In der schrift- 
lichen Prüfung wird ein mathematischer Aufsatz, doch keine physikalische 
Arbeit gefordert. Durch jenen ist „besonders die Beurteilungskraft des 
EXaminanden in der Anwendung des Erlernten zu erforschen; auch soll 
aus ihm hervorgehen, ob er selbst Fragen aufzufinden und Ansichten zu 
nehmen imstande sei und wie weit sich sein Kombinationsvermögen er- 
strecke‘. In der mündlichen Prüfung gehört zum Prädikate der „un- 
vdedingten Tüchtigkeit‘‘: „Kenntnis der Rechnungen des gemeinen Lebens 
aach ihren auf die Proportionslehre gegründeten Prinzipien, des Algorith- 
mus der Buchstaben, der ersten Lehre von den Potenzen und Wurzeln, 
der Gleichungen des 1. und 2. Grades der Logarithmen, der Elementar- 
geometrie (Euklid Buch 1—6, 11, 12), der ebenen Trigonometrie und des 
Gebrauchs der mathematischen Tafeln.‘ In der Physik wird die deut- 
liche Erkenntnis der Gesetze derjenigen Hauptphänomene der Körper- 
welt verlangt, ohne welche die Lehren der mathematischen und physi- 
kalischen Geographie nicht begriffen werden können. 
Auch in der Naturbeschreibung ist eine Prüfung vorgesehen, für welche 
die Kenntnis der allgemeinen Klassifikation der Naturprodukte und Ein- 
sicht in die Prinzipien dieser Klassifikation verlangt wird. Für die Be- 
urteilung der Reife soll in den Naturwissenschaften maßgebend sein, daß 
die Tatsachen rein aufgefaßt und die wissenschaftlichen Angaben be- 
griffen seien, 
Diese Angaben in der ersten geschichtlichen Urkunde über die Abi- 
turientenprüfung lassen zweierlei erkennen: Die Mathematik wird als 
gleichberechtigt mit den altsprachlichen Lehrfächern anerkannt; Physik 
und Naturwissenschaften bleiben Nebenfächer, die zwar mit den andern 
Lehrgegenständen eine organische Einheit bilden sollen, in denen daher 
auch geprüft wird, die sich aber keiner hohen Wertschätzung erfreuen. 
Dieser letztere Eindruck wird noch verstärkt, wenn man die dem Edikt 
beigefügten Zeugnismuster untersucht, in denen drei Abstufungen unter- 
schieden werden, außer dem „unbedingt tüchtig‘“ noch das Zeugnis der 
„bedingten Tüchtigkeit‘“ und das der „Untüchtigkeit‘. Weder das Zeugnis 
I. Grades noch das des II. Grades enthält irgendeine Bemerkung über 
Physik und Naturbeschreibung. Nur das Zeugnis III. Grades (un- 
tüchtig) tut der Physik Erwähnung, doch heißt es dort seltsam 
genug: „Ausgezeichnet sind seine Kenntnisse in der Physik, sofern 
sie in mehreren Abschnitten nicht mit der. Mathematik zusammenhängt.“ 
Man darf wohl annehmen, daß die gegebenen Beispiele von Reife- 
zeugnissen nicht ohne Absicht diese besondere Art der Fassung er- 
halten haben.
	        
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