Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

278 V. Abschnitt: Das neunzehnte Jahrhundert. 
(d. h. Elementarmathematik wissenschaftlich vorgetragen); in I: 2 Std, 
höhere Mathematik, 1 Std. Mathematik für Nichtgriechen, 1 Std. Physik. 
Hinsichtlich der Mathematik kann man in dem Zeitraum von dem 
Erscheinen des Süvernschen Lehrplans bis zu dem für alle Gymnasien 
verbindlich eingeführten Lehrplan von 1837 ein Streben nach Erweiterung 
des mathematischen Unterrichtspensums bemerken, das vielleicht noch 
mehr hervorgetreten wäre, wenn nicht Schulze, der 1818 an Stelle Süverns 
das Dezernat für das höhere Schulwesen übernahm, dem entgegengewirkt 
hätte. Die jener Übergangszeit angehörigen Lehrpläne mancher Gym- 
nasien zeigen eine Ausdehnung der Mathematik, welche die heutige über- 
trifft. So wird z. B. am Friedrich-Wilhelms-Gymnasium Differential- 
und Integralrechnung getrieben. Allein, daß der Wert des mathematischen 
Unterrichts nicht an der Menge des Gebotenen, sondern an der Art des 
Vortrags liegt, beweist folgende Stelle in den Lebenserinnerungen Ludwig 
Wieses, der 1822—1826 Schüler jener Anstalt war: „Der mathematische 
Eifer, den wir beide mitgebracht hatten, fand im Gymnasium keine Nah- 
rung und erlosch leider schon in der Sekunda gänzlich. Der Lehrer da- 
selbst, und in der Prima, kam immer spät und wie träumend in die Klasse, 
hielt dann einen akademischen Vortrag und ließ ihn zuletzt von Schülern, 
die er als schon befähigt erkannt hatte, wiederholen. Ich habe später 
erkannt, daß er ein geistreicher Mann und philosophischer Denker war, 
aber zu lehren und eine volle Klasse zu beschäftigen verstand er nicht.“ 
Aus ungefähr derselben Zeit haben wir einen Bericht aus der sächsischen 
Fürstenschule Grimma in dem Leben Gottfried Hermanns von Köchly: 
„Von Algebra haben wir während jenes Zeitraums kein Sterbenswörtchen 
vernommen, und in der Geometrie sind wir nur zum pythagoräischen Lehr- 
satz gekommen. Ein guter Mathematiker sein galt unter uns für ein sehr 
zweifelhaftes Lob.“ 
Um ein Beispiel zu geben, welcher Art die mathematischen Aufsätze 
waren, die gemäß den Bestimmungen von 1812 gegeben werden sollten, 
sei die Aufgabe erwähnt, die der geniale Mathematiker Jacobi als Abi- 
turient 1821 am Gymnasium zu Potsdam zu behandeln hatte: „Wenn 
Polhöhe eines Ortes, Abweichung eines Sterns, des Sternes Höhe, Stunden- 
winkel und Azimut für diesen Ort gegeben sind, aus je dreien dieser Stücke 
die beiden anderen zu finden.“ 
Unverkennbar durchzieht Süverns neuhumanistische Reformierung des 
Gymnasialunterrichts das Bestreben, den Unterricht in allen Lehrfächern 
möglichst gründlich und wissenschaftlich zu gestalten. Ihm wie auch seinem 
Nachfolger Johannes Schulze (1786—1869) ist es heiliger Ernst mit der 
geistigen Wiedergeburt des Vaterlandes, „die altpreußische Zucht und 
Straffheit wird in den Unterrichtsbetrieb auf den Gymnasien eingeführt‘‘, 
und so wird es ein Grundzug derselben, den Unterricht in jedem Lehr-
	        
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