Il. Kapitel: Unterricht unter dem Einfluß der staatlichen Verfügungen, 313
in ihren praktischen Beziehungen nicht dem Staate sondern der Menschheit
angehört, wird dieselbe zu einem universalbildenden Lehrmittel erhoben.“
Der Lehrgang der Physik gliedert sich schon bei Reuscher in einen doppelten
Kursus. Der Kursus der Unterstufe ist einjährig, mit zwei Stunden die
Woche, und soll ein „nicht sowohl fragmentarisches als vielmehr wissen-
schaftliches Ganze einer Elementarphysik geben‘, den „kindlichen Be-
obachtungsgeist durch rationelle Erklärung befriedigen und durch die
damit verbundenen Experimente nicht sowohl die kindische Phantasie
ergötzen als vielmehr die erhabene Naturidee und das wissenschaftliche
Naturinteresse groß und lebendig erhalten“.
Der Kursus der Oberstufe ist zweijährig, mit ebenfalls zwei Stunden
die Woche. Er „bezweckt teils eine materielle und formelle Erweiterung
und Ergänzung der physikalischen Elementarklasse, teils eine Einleitung
und Vorbereitung auf das Universitäts- und Berufsstudium der physikali-
schen Wissenschaften‘. „Die aufgestellten Hauptsätze der allgemeinen
und besonderen Physik erhalten in ihm mit Hilfe der Algebra und der
Trigonometrie ihre wissenschaftliche Begründung. Der physikalische Appa-
rat wird als ein „sicherer empirischer Stützpunkt“ für den rationellen Teil
der Physik bezeichnet,
Eingehender als hier wird der Physikunterricht von W. Tennerin einer
Abhandlung besprochen, die 1829.als Beilage zum Programm des Dom-
gymnasiums in Merseburg erschienen ist. In ihr findet sich der eigenartige
und gewiß interessante Vorschlag, die Gymnasiasten am Ende des vor-
letzten Schuljahres ein Examen in den sprachlich-historischen Fächern
machen zu lassen, um diese im letzten Jahr mit nur wenigen Stunden
wöchentlich zu treiben, während dann das Hauptgewicht auf Mathematik
und Naturwissenschaften zu legen ist, in denen der Schüler ebenfalls ein
Examen ablegen muß. Das Bestehen beider Examina berechtigt erst zum
Eintritt in die Universität. Die Physik soll in diesem letzten Schuljahr
eng mit der Philosophie verbunden sein, und für beide zusammen sind
nicht weniger als sechs Stunden wöchentlich vorgesehen. Die Forderung,
die Physik mit einer philosophischen Propädeutik zu verbinden, ist also
schon ziemlich alt.
Für das Wie des Unterrichts gibt Tenner ebenfalls beherzigenswerte
Weisungen. Nichts sei verkehrter, als eine Erfahrungswissenschaft mit
Prinzipien anfangen zu wollen, nichts sei dem Gedeihen der Naturlehre
schädlicher, als wenn man mit vorgefaßten Meinungen die Erscheinungen
betrachte. Man gehe von den Erscheinungen und Erfahrungen aus, welche
die allgemeinsten und bekanntesten oder besonders auffällig sind, klassi-
fiziere sie, suche aus ihnen einen Satz abzuleiten und prüfe dies Ergebnis
durch den Versuch. Für die Versuche empfiehlt er die größte Sorgfalt.
Man könne sie auch gelegentlich durch absichtliche Vernachlässigung einer