IL. Kapitel: Unterricht unter dem Einfluß der staatlichen Verfügungen. 315
zur rechten Tüchtigkeit und zur Fähigkeit für inneres und äußeres Leben,
für den rechten Gebrauch der Gaben und Kräfte in der Natur. Hinsicht-
lich der erforderlichen Lehrmittel ist er mit Tenner derselben Meinung.
Er habe sich während seiner 15jährigen Lehrtätigkeit anfangs ganz
ohne Apparate, dann mit sehr beschränkten Mitteln helfen müssen. In
der Beschränkung zeige sich erst der Meister! Experimentieren erfordere
Übung; aber ohne Experimentieren sei der Unterricht tot, ermüdend, führe
zum Scheinwissen, zum „Papageientum“‘. Nur durch Experimentieren sei
Einsicht und Verständnis zu erreichen. Die Physik sei nicht für sechs-
jährige Schüler; sie solle in den Ernst des Denkens einführen, kurz, sie
soll in „wissenschaftlicher Form“ auftreten. Die Aufgabe des Lehrers ist
das Experiment; die Beobachtung und das Aussprechen der Beobachtung
ist die Aufgabe des Schülers. Der Unterricht soll den Schüler anleiten,
selbst zu suchen und selbst zu finden. Das mathematische Element ist
ihm hemmend für den eigentlichen Physikunterricht. Der Lehrer soll sich
nicht ängstlich nach dem Stoff eines Lehrbuchs richten. Es sei eine Ent-
würdigung des Lehrerstandes, ihm die Lektionen nach Maß, Größe und
Zuschnitt vorgekaut vorzulegen. Lehrer sollen keine Kinder, sondern
Kinderleiter, Kinderlehrer sein, die die Speisen selbst zubereiten und vor-
legen können.
Welche Wandlung sich im Laufe der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts
von der Aufgabe des Physikunterrichts vollzogen hat, ergibt sich auch aus
einer Programmschrift des Direktors der Realschule in Nordhausen im
Jahre 1846, die auch heute noch lesenswert ist. Er bezeichnet als Ziel des
Physikunterrichts: „Sichere Kenntnis aller ausgemachten Hauptgesetze
mit deutlicher Vorstellung derjenigen Erscheinungen, die ihnen entsprechen,
und derjenigen Apparate, die zur Hervorbringung dieser Erscheinungen
nötig sind. Genauere Kenntnis der Einrichtung und des Gebrauchs der
vorzüglichsten und unentbehrlichsten Meßapparate. Geübtheit in der An-
wendung der Elementarmathematik auf die Ableitung und den mathe-
matischen Ausdruck der physikalischen Gesetze. Klare Einsicht in die
vornehmsten kosmischen und tellurischen Verhältnisse.“ Könnte nicht
diese Formulierung des Lehrziels in der Physik ebensogut die Jahreszahl
1896 statt 1846 tragen?
Die hier mitgeteilten Proben aus Schriften von Schulmännern, die
praktisch als Lehrer der Physik an höheren Schulen tätig waren, lassen
zur Genüge erkennen, wie bedeutende Kräfte in diesen Kreisen auf die
Hebung des Physikunterrichts hinarbeiten. Freilich dürfen wir nicht
annehmen, daß tatsächlich an allen Anstalten der Unterricht in der Physik
diesen Grundsätzen gemäß gegeben worden ist. Im allgemeinen bleibt er
weit unter dem hier angestrebten Niveau. Es ist zu bedauern, daß wir
keine Berichte aus der Zeit vor 1860 besitzen, in denen der tatsächliche