Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

322 V. Abschnitt: Das neunzehnte Jahrhundert. 
seiner hohen Bedeutung wird es anfangs ganz in den Vordergrund gestellt 
und zum Ausgangspunkt gemacht, doch kennzeichnet es den Fortschritt 
des Lehrverfahrens, daß es später im Lehrgang als eine natürliche Forde- 
rung desselben eingegliedert wird, der Lehrgang von selbst auf ein be- 
stimmtes Experiment hinführt, das gemacht werden muß, um die Richtig- 
keit „rein gedanklich abgeleiteter Schlüsse‘ überzeugend darzutun. So 
verbinden sich auch im Chemieunterricht die beiden Methoden zur Ent- 
deckung neuer Wahrheiten: die Induktion und die Deduktion. 
Die Handhabung des Unterrichts in den beschreibenden Naturwissen- 
schaften zeigt in den ersten Jahrzehnten der staatlichen Regelung des 
höheren Schulwesens, wo der Mangel fachwissenschaftlich vorgebildeter 
Lehrer sich empfindlich fühlbar machte, noch eine weite Verbreitung 
der Lesemethode, nach welcher ein Abschnitt aus dem Lehrbuch von den 
Schülern, zur besseren Einprägung oft mehreremal, gelesen und das Ge- 
lesene an der Hand von Anschauungsmitteln, wenn diese vorhanden waren, 
vom Lehrer erläutert wurde, was in der Mehrzahl von Fällen vielleicht 
nicht einmal geschehen ist. Mit dieser Methode räumt Lüben im vierten 
Jahrzehnt durch seine „Anweisung zum Unterricht in der Naturgeschichte 
hach methodischen Grundsätzen‘ (1832—36) ziemlich gründlich auf, was 
freilich nicht ausschließt, daß noch viel später an einzelnen Anstalten, 
wo..besser geeignete Lehrkräfte fehlten, die Naturbeschreibung nach der 
Methode des Leseunterrichts gelehrt worden ist. Lüben stellt dem botani- 
schen und zoologischen Unterricht das Ziel, den Schüler zur selbständigen 
Untersuchung, Beobachtung und Beschreibung und schließlich zur Ein- 
ordnung in ein System zu führen. Er unterscheidet mit voller Klarheit 
eine materielle Aufgabe des Unterrichts, die darin besteht, den Menschen 
mit der ihn umgebenden Natur, aus der er seine Lebensbedürfnisse be- 
Iriedigt, bekannt zu machen und ihn zur Erkenntnis des Lebens, der Kräfte 
und der Einheit, welche sich in der Natur kundgeben, zu führen, von 
einer formalen Aufgabe, unter der er den bildenden Einfluß versteht, den 
der naturwissenschaftliche Unterricht auf die Schärfung der Beobachtungs- 
gabe, die Übung der Sinne, auf die Vorstellungskraft, auf Denken, Empfin- 
den und Wollen auszuüben vermag. Der Schüler soll nach Lüben den 
Art-, Gattungs-, Familienbegriff und so fortfahrend das ganze System 
sich selbst erarbeiten, und entsprechend den drei hierzu nötigen Tätig- 
keiten: Beobachten, Vergleichen, Unterscheiden gliedert er den Unterricht 
in drei Stufen. Mit Recht erhebt Roßmäßler gegen die Methode Lübens 
und gegen das einseitige „Beschreiben‘‘ und „Bestimmen‘‘ seiner Nach- 
folger den Vorwurf der Trockenheit und Lebensarmut und verlangt, daß die 
Schule wieder in innigeren Verkehr mit der Natur komme als unserer gemein- 
samen Heimat, ‚in der ein Fremdling zu sein Schande und Schaden bringt‘. 
Allein praktisch durchführbare Vorschläge vermag er nicht zu bringen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.