Full text: Geschichte des naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterrichts (1. Band)

II. Kapitel: Unterricht unter dem Einfluß der staatlichen Verfügungen. 323 
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Von Einfluß werden auch auf die Gestaltung des naturkundlichen 
Unterrichts die pädagogischen Grundprinzipien Herbarts: lebendiges 
Wissen durch Anregung und Leitung des angebornen Forschungstriebs 
der Jugend zur Entwicklung zu bringen; ein Unterricht ohne Interesse, 
das zu selbsttätigem Fortschreiten nach neuen und immer höheren Zielen 
treibt, wirkt nicht erziehlich; der Unterricht soll auf Bildung der Ge- 
sinnung und des Charakters straff und einheitlich konzentriert werden. 
Diesen Prinzipien Herbarts kömmt in glücklicher Weise der große Auf- 
schwung der biologischen Forschung durch Darwin entgegen, um dem 
naturgeschichtlichen Unterricht Leben und Kraft einzuhauchen. So 
beginnt in den letzten drei Dezennien des Jahrhunderts die biologische 
Betrachtungsweise den naturgeschichtlichen Unterricht zu beherrschen, 
Aus den zahlreichen Abhandlungen, die in jener Zeit entstehen, sei hier 
namentlich auf die Programmschrift von H. Müller (1876) hingewiesen, 
der für den gesamten naturkundlichen Unterricht folgenden Gesichts- 
punkt aufstellt 119), „die auf eigener Erkenntnis von Naturgesetzen be- 
gründete Befähigung und Gewöhnung, alle Naturerscheinungen als not- 
wendige Folgen unabänderlich waltenden ursächlichen Zusammenhangs 
aufzufassen und den jetzigen Zustand unserer Erde und ihrer Bewohner 
als Stufen einer fortdauernden Entwicklung zu begreifen‘. Müller unter- 
scheidet daher folgende drei Stufen: 1. Bekanntschaft mit Formen und 
Lebenseigentümlichkeiten. 2. Verständnis von Organisationseigentümlich- 
keiten als Anpassung an gewisse Lebensbedingungen. 3. Kenntnis indi- 
vidueller Entwicklungsgeschichten und Verständnis heutiger Lebens- 
formen als Produkte einer geschichtlichen Entwicklung. 
Die biologische Betrachtungsweise, die in den Schulunterricht auch 
eine immer ausgedehntere Berücksichtigung der Blütenbiologie und 
(H. Müller, Knuth, Loew) die Behandlung ganzer Gruppen von Tieren 
und Pflanzen nach „Lebensgemeinschaften‘‘ (Junge) eingeführt hat, findet 
aber einen zu ihrer erfolgreichen Durchführung zeitlich nicht genügenden 
Raum, da selbst in den Realanstalten der naturkundliche Unterricht in 
U IT endet. Durchdrungen von dem hohen allgemeinen und sachlichen 
Bildungswert, machten die Biologen ihre Wünsche zum Gegenstand der 
Beratungen der Naturforscherversammlung in Hamburg 1901, deren 
Ergebnis die sogenannten Hamburger Thesen sind: 
„4. Die Biologie ist eine Erfahrungswissenschaft, die zwar bis zur je- 
weiligen Grenze des sichern Naturerkennens geht, aber dieselbe nicht über- 
schreitet. Für metaphysische Spekulationen hat die Biologie als solche 
keine Verantwortung. 
2. In formeller Hinsicht bildet der naturwissenschaftliche Unterricht 
eine notwendige Ergänzung der abstrakten Lehrfächer. Im besonderen 
lehrt die Biologie die sonst so vernachlässigte Kunst des Beobachtens an 
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