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I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter.
trefflichkeit nennen Plato und Aristoteles die unablässige, sittliche Ge-
wöhnung, bei der körperliche Züchtigungen dem Lehrer zu Gebote standen,
die bei den Griechen wie bei den Römern reichlich und derb angewendet
wurden, so daß es dem bei einer Schule Vorübergehenden nicht ungewöhn-
lich war, wenn das einförmige bis bina quattuor decantare durch das
Klatschen der Rute oder Peitsche und das Heulen der so Gezüchtigten
unterbrochen wurde. 18)
Die Vorstellung, welche die bisherigen kurzen Angaben in uns über
den Unterrichtsbetrieb und die Pflege der Mathematik auf den Schulen
der Alten wecken, drängt unwillkürlich zu einem Vergleich mit der Jetzt-
zeit. Wir erkennen, daß in der antiken Kultur schon die ersten Spuren
unserer heutigen Schuleinrichtungen vorhanden gewesen sind und daß
in ihr auch die Keime der Gedanken über den Wert und die Aufgabe des
mathematischen Unterrichts wurzeln, die noch gegenwärtig den Gegen-
stand so lebhafter Erörterungen bilden.
III. Kapitel.
Mathematik und Naturwissenschaften im Mittelalter.
Sine experientia nihil sufficienter sciri potest.
Roger Baco,
Der Zusammenbruch des römischen Weltreiches begräbt auch die
antike Kulturwelt unter seinen Trümmern. Der Untergang der politischen
Machtstellung Roms und die vollständige Vernichtung der Kulturerrungen-
schaften des klassischen Altertums sind die Folgen der gleichzeitigen
Wirkung zweier Kräfte, von denen die eine physisch von außen her in
unablässigen ‚blutigen Kriegen die Macht Roms erschütterte, die andere
von innen her zersetzend auf die religiösen Anschauungen und das soziale
Gefüge des römischen Staatswesens einwirkte. Nie wäre es der rohen,
ungebändigten Volkskraft der Germanen gelungen, der römischen Kriegs-
kunst, der römischen List und Tücke Herr zu werden, wenn nicht das
Christentum gleichzeitig den grausamen Herrschersinn des Römertums
allmählich gebrochen, die innere Ordnung des Römerreiches umgestaltend
veeinflußt hätte.
Besonders verderblich für die Erhaltung der antiken Kulturelemente
und Wissensschätze wurde der Umstand, daß das Christentum sich in den
ersten Jahrhunderten seines Bestehens in gewisser Hinsicht noch weniger
kulturfreundlich zeigte als die Germanen. FEinsichtige Germanenkönige
hätten aus den Stürmen der Völkerwanderung wenigstens die geistigen
Errungenschaften des Altertums zu retten gesucht, wie ja auch Theoderich
der Große der Pflege von Künsten und Wissenschaften und der Ein-
richtung von Schulen seine Aufmerksamkeit zuwandte. Den Aposteln