III. Kapitel: Mittelalter.
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und alten Kirchenvätern aber galten sogar die Tugenden der Heiden
vielfach als Laster, jedenfalls waren sie abhold aller weltlichen Wissen
schaft. In den Schriften des Tertullian, Augustinus, Eusebius zeigt sich
eine solche Abneigung gegen alle wissenschaftliche Erkenntnis, gegen
alle weltliche Gelehrsamkeit, daß sie eine Vernichtung derselben für ein
gottwohlgefälliges Werk halten. So erwirkte der Patriarch Pelagios vom
Kaiser Theodosius die Erlaubnis, das Serapeion in Alexandria zu zerstören
und fanatisierte den Pöbel der Stadt, daß er diese Zerstörungstat Voll-
brachte, wobei der größte Teil der Bücherschätze der alexandrinischen
Bibliothek ein Raub der Flammen — ein unersetzbarer Verlust für die
Wissenschaft — und die hochgebildete, edle Hypatia das schuldlose Opfer
der Volkswut wurde.
Woher diese kulturfeindliche Tendenz des Christentums, diese dem
Evangelium der Liebe geradezu widersprechenden, unerklärlichen Aus-
brüche grimmigen Hasses?
Zur Beantwortung dieser Frage sei zunächst darauf hingewiesen, daß
die gesamte Kultur des Altertums, seine bewunderungswürdigen Prunk-
bauten und Kunstschöpfungen wie auch seine wissenschaftlichen Leistungen
nur dadurch möglich wurden, daß die große Masse derer, die die zur Er-
haltung des täglichen Lebens notwendige Arbeit leisten mußten, unter
einem unmenschlichen, mit eiserner, grausamer Härte aufrecht erhaltenen
Joche schmachtete. Nach Millionen zählende Sklavenheere frohndeten
täglich unter der Peitsche des Aufsehers, damit kaum ebensoviele Tausende
der herrschenden und gebildeten Klassen ihr durch Kunst und Wissen-
schaft verfeinertes Leben in Glanz und Üppigkeit führen konnten. Das
Los der Galeerensklaven, noch mehr das der in den Bergwerken Arbeitenden
war ein so entsetzliches, daß selbst der harte, gegen den Anblick mensch-
licher Leiden abgestumpfte Sinn römischer Schriftsteller Anwandlungen
von Mitleid empfindet.!®*) Solche Zustände erschienen den Alten wie eine
Naturnotwendigkeit, ohne die ein Staatswesen undenkbar, deren Änderung
daher ganz unmöglich schien. Da brachte das Christentum den von einem
menschenwürdigen Dasein Ausgestoßenen die ersten Strahlen der Hoff-
nung und des Trostes. Um so inniger und leidenschaftlicher klammerte
sich der leidende Teil der Menschheit an diese neue Lehre, je mehr die
römischen Staatslenker ihre die Fundamente der staatlichen Ordnung
untergrabende Tendenz erkannten und sie durch blutige Verfolgungen zu
unterdrücken suchten. So ward das Christentum die Religion derjenigen
Menschenklasse, die für Kunst und Wissenschaft kein Verständnis hatte,
denen die schönsten Kunstschöpfungen ebenso wie die wissenschaftlichen
Lehren ihrer Zeit als die zu stürzenden und zu vernichtenden Götzen der
sie knechtenden Gesellschaftsklasse erscheinen mußten. Die Bevölkerungs-
schicht, welche als die eigentliche Trägerin der Bildung des Altertums galt,