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I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter,
Wie aufmerksam die Araber auf Naturerscheinungen achteten, beweist
die Bemerkung Gebers, daß die Tragkraft eines Magneten nicht von seiner
Größe abhängt und bei längerem Liegen sich vermindert. An denselben
Namen Geber knüpft sich auch, was wir von den chemischen Kenntnissen
der Araber wissen. Die Kenntnis der Schwefelsäure, der Salpetersäure
und des Königswassers, die Darstellung des Alkohols (= Extrakt) durch
Destillation des Weines, die Anwendung neuer chemischer Operationen,
der Sublimation, des Umkristallisierens und des Filtrierens zur Reindar-
stellung der gewonnenen Präparate, die Verwendung von Wasserbädern
und chemischen Öfen kennzeichnen am besten, welche Fortschritte die
Chemie bei den Arabern gemacht hat. Freilich stehen die chemischen
Kenntnisse der Araber so sehr unter der Herrschaft der im alten Ägypten
und bei den Alexandrinern schon genährten alchemistischen Vorstellungen,
daß man die Blütezeit der Alchemie gerade auf die Tätigkeit der arabischen
Chemiker zurückführen darf. Sie waren von der Überzeugung durch-
drungen, daß die Metalle ineinander „transmutiert‘‘ werden könnten, und
suchten daher mit leidenschaftlichem Eifer nach einem Stoffe, mit dessen
Hilfe die angestrebte Transmutation der Metalle völlig gelingen könnte,
der es also auch ermöglichte, minderwertige Metalle in Gold zu verwandeln.
Dieses Universalmittel hieß der Stein der Weisen, dem in der Folgezeit noch
viele andere wunderbare Eigenschaften beigelegt wurden, Heilung von
Krankheiten, Verlängerung der Lebensdauer und andere. Das Suchen
nach dem Stein der Weisen wurde ein solcher Ansporn zur Beschäftigung
mit den stofflichen Veränderungen der Metalle und anderer Substanzen,
daß diese alchemistischen Bestrebungen, obwohl von keinem wissen-
schaftlichen Interesse geleitet, doch das mächtigste Förderungsmittel der
Chemie geworden sind.
Die Fähigkeit des durch Zusatz von Salmiak zur Salpetersäure ge-
wonnenen Königswassers, Gold aufzulösen, entging den arabischen Alche-
misten nicht; die Auflösung von Silber in Salpetersäure führte sie zur Ent-
deckung des Höllensteins. Auch das Sublimat wird bei Geber erwähnt.
An der Herstellung des Schießpulvers scheinen die Araber keinen Anteil
gehabt zu haben, die Ingredienzen dieses Sprengmittels finden sich in einer
Schrift des Marcus Graecus (846) zum ersten Male aufgezählt, mit der An-
weisung, sie möglichst fein in einem marmornen Mörser zu zerreiben. Pott-
asche stellten die Araber durch Verbrennen von Weinstein, Soda, durch
Einäscherung von Seepflanzen dar und gewannen durch Kalkzusatz aus
ihnen die Kalilauge und Natronlauge. Sie kannten die Oxyde vieler Metalle,
stellten Quecksilberoxyd durch längeres Erhitzen von Quecksilber dar,
verwandten den Alaun als blutstillendes Mittel sowie in der Färberei. In
Verbindung mit der Chemie entwickelte sich auch die Pharmazie bei den
Arabern zu einer selbständigen Wissenschaft.