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I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter.
Mit solchen Anschauungen setzte sich Baco nicht nur in Gegensatz
zu der auf die Theologie gerichteten Tendenz seines Ordens — er war
Franziskaner — sondern auch zu der scholastischen Geistesrichtung seiner
Zeit, der Aristoteles als unantastbare Autorität galt. Mißverstanden und
angefeindet hat er sein wissenschaftliches Streben mit 14jähriger Frei-
heitsberaubung büßen müssen; so ist er im Lebensschicksal wie hinsicht-
lich seiner Lehren ein würdiger Vorläufer Galileis. Der Inhalt seiner Haupt-
werke, des Opus maius, Opus minus, opus tertium zeigt, daß Baco das
Wissen der Alten und der Araber umfassend beherrschte, daß er viele
Entdeckungen vorahnend vorausgesagt hat. Armut und Mangel an Frei-
heit hinderten ihn, durch seine Scientia experimentalis Fortschritte über
die Errungenschaften der Araber hinaus zu machen. Erwähnt sei, daß
er bei der Kugelgestalt der Erde die Ansicht äußert, es sei möglich, durch
eine Fahrt nach Westen über den Atlantischen Ozean Asien nach ver-
hältnismäßig kurzer Zeit zu erreichen, daß er eine Kalenderreform fordert,
da der Julianische Kalender die Jahresdauer zu groß annehme, daß er,
wie sein Lehrer Peregrinus, die Pole des Magneten und die Abstoßung
der gleichartigen, die Anziehung der ungleichartigen Pole zweier Magnete
kennt. Um zu zeigen, welchen Begriff Baco mit dem Namen Physik ver-
bindet, seien hier die acht physikalischen Wissenschaften mitgeteilt,
die er in dem „Physik“ betitelten dritten Buche seiner Communia natura-
lium unterscheidet: Allgemeine Prinzipien der Naturphilosophie; Per-
spektive (= Optik); Astronomie; Barologie (= Gewichtskunde); Alchemie;
Agrikultur; Medizin; Experimentalwissenschaft.
Ruht die Bedeutung Bacos namentlich auf seinen mathematischen und
physikalischen Leistungen, so hat sich sein Zeitgenosse Albert von Bollstädt
(1193—1280), Magnus genannt, um die beschreibenden Naturwissenschaften
verdient gemacht. Seine aus 26 Büchern bestehende Zoologie, sein 7 Bücher
umfassendes Werk über die Pflanzen, seine aus 5 Büchern bestehende
Mineralogie fußen auf Aristoteles, geben zwar im wesentlichen nur dessen
Wissen auf diesen Gebieten wieder, allein er zeigt sich doch nicht als
bloßer Nachbeter, sondern auch bei ihm gewahren wir jenen Zug der
Selbständigkeit, die der eigenen Erfahrung größeres Gewicht beilegt als
der Autorität. Zwar dürfen wir nicht erwarten, daß Albertus Magnus
der wissenschaftlichen Behandlung der Tier-, Pflanzen- und Gestein-
kunde neue Bahnen erschließt, aber er hat doch das Verdienst, neue An-
regung zur Pflege dieser Wissenschaften gegeben zu haben.
Ein Zeitgenosse Roger Bacos, des Doctor admirabilis, und des Albertus
magnus, des Doctor universalis, ist Raymundus Lullus, der Doctor illu-
minatissimus (geb. 1230), dessen Schriften jedoch so voller phantastischer
Hirngespinste und Torheiten, namentlich hinsichtlich des Steins der Weisen
und seiner wunderbaren Kräfte, sind, daß er zu seinem Beinamen wie