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I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter.
des synodischen Monats, des Sonnenzirkels und des Mondzirkels. An
den Sonnenzyklus schloß sich der Sonntagsbuchstabe, an den Mondzyklus
die goldene Zahl. Aus der goldenen Zahl konnten dann die Epakten leicht
ermittelt werden. Schließlich bedurfte man noch der Römerzinszahl,
d. h. des Überschusses der Jahreszahl im Julianischen Kalender über
eine Periode von 15 Jahren, in deren drittes Jahr das Geburtsjahr Christi
fallen sollte. Aus dem Sonnenzirkel, der goldenen Zahl und der Römer-
zinszahl ließ sich dann die Stellenzahl des Jahres innerhalb der ‚,juliani-
schen Periode‘ *) finden, und aus diesen vier Größen berechnete man dann
das Osterdatum. Diese Osterrechnung hat sich bis Gauß unverändert
erhalten.
Außer dem Computus paschalis begegnen wir. aber schon bei Alkuin
anderen Übungen, die er als Aufgaben zur Verstandesschärfung bezeichnete,
die in ähnlicher Weise sich wohl durch den ganzen mittelalterlichen Unter-
richt hindurchzogen und sich bis in die Neuzeit hinein erhalten haben.
Teils sind es Rätsel, die zu ihrer Lösung nur einiges Nachdenken erfordern,
wie z.B. die bekannte Aufgabe über Wolf, Ziege und Kohl, teils Auf-
gaben, die bekannte Beispiele von Gleichungen 1. Grades bieten, wie
Fragen nach dem Lebensalter, die Röhrenaufgabe über die Füllung eines
Behälters,®) die Aufgabe über den Hasen und den verfolgenden Hund,
teils sind es einfache Progressionen. Auch Teilungsaufgaben, Beispiele
aus der Gesellschaftsrechnung, sogar eine diophantische Gleichung mit
3 Unbekannten finden sich unter den „propositiones ad acuendos juvenes‘“
Alkuins, freilich kennt er als Lösung dieser letztgenannten Aufgabe nur
ein Wertsystem von den sechs möglichen.
Der Geometrieunterricht in jener ersten Zeit beschränkte sich auf
die Erlernung von Definitionen nach Marcianus Capella und die Ein-
äbung einfacher Konstruktionen. In seinen Aufgaben bringt Alkuin
noch die Ausmessung dreieckiger und viereckiger Felder, nach der .Vor-
schrift römischer Agrimensoren und auch noch mit deren Fehlern behaftet,
sowie eine Berechnung des Kreises, die für x den Wert 4 annimmt. Ver-
bessernd und erweiternd wirkte wieder Gerbert auf den geometrischen
Unterricht ein. Die 982 entstandene Geometria Gerberti umfaßte in 94 Ka-
piteln den Lehrbegriff der Geometrie, wie er einige Jahrhunderte hindurch
in den Klosterschulen vorgetragen ist. Obwohl wir in ihr den euklidischen
Beweis des Satzes von der Winkelsumme im Dreieck durch Ziehen einer
Parallelen zu einer Seite durch die gegenüberliegende Ecke finden, zeigt
eine Untersuchung des Inhalts doch deutlich, daß Euklids Elemente der
Geometria Gerberti nicht als Vorbild gedient haben. Mit Euklid war
Gerbert überhaupt noch nicht bekannt geworden, er schöpfte seine Kennt-
nisse namentlich aus Boethius, und so gibt seine Geometrie ungefähr die
Kenntnisse der römischen Feldmesser wieder, ist auch kein reines Lehr-