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I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter.
geblieben sind. Wichtiger und gründlicher wurden die Klosterschüler
in die mathematische Erdkunde eingeführt. Die Lehre von der Kugel-
gestalt der Erde wurde mit den Beweisen des Aristoteles und Ptolemäus
vorgetragen; für ihre Größe war die Messung des Eratosthenes maßgebend.
Von den 5 Zonen der Erde galt nur die nördliche gemäßigte als bewohnbar,
die ihr entsprechende südliche nicht, da man damit die Möglichkeit der
Gegenfüßler zugegeben hätte, deren Existenz aus theologischen Gründen
mit Augustin und Isidor von Sevilla geleugnet wurde. Mit den Begriffen
der geographischen Länge und Breite war man in den Klosterschulen
vertraut, wußte auch diese Koordinaten für die bedeutendsten Städte
anzugeben.
Astronomie und mathematische Erdkunde standen in engem Zusam-
menhang. Die Bewegung der Sonne, des Mondes, der Planeten um die Erde
als Mittelpunkt wurde entsprechend der ptolemäischen Anschauung vor-
getragen; das ptolemäische Weltsystem selbst mit seiner Epizyklen-
theorie ist jedoch niemals Gegenstand des Unterrichts in den mittelalter-
lichen Bildungsanstalten gewesen. Dann wurden die Fixsterne und die
wichtigsten Sternbilder besprochen; für die letzteren, namentlich die des
Zodiakus, waren Karten in Gebrauch, welche die Lage der mit unbewaff-
netem Auge sichtbaren Sterne jedes Bildes veranschaulichten, oder doch
wenigstens die der Sterne 1. und 2. Größe. Außer Sternkarten brauchte
man beim astronomischen Unterricht als Hilfsmittel noch die Armillar-
sphäre, Gnomone, Planetarien und Sonnenuhren. Die praktische Herstel-
lung der Sonnenuhren in richtiger Lage war Gegenstand eingehender Unter-
weisung; mit dem Gange der Planeten und den Fixsternen wurde der
Klosterschüler durch eigene Beobachtung, der ein gläserloser Tubus diente,
bekannt, lernte Stundenwinkel und Deklination selbst bestimmen, ein
Vorzug, den Günther mit Recht hervorhebt, und dessen sich unsere heutigen
Schüler der Oberklassen nur in sehr wenigen Fällen rühmen können. 2%)
Physikalische Kenntnisse in dem heutigen Sinne des Wortes wurden
dem Klosterschüler durch das Quadrivium in der Musik und in einer mit
der Geographie verbundenen Art von Kosmographie übermittelt. Wohl
begegnen wir in der mittelalterlichen Einteilung der Philosophie auch dem
Namen Physik als einem besonderen Wissenszweige, allein der Begriff,
den man im Mittelalter mit diesem Worte verband, deckt sich durchaus
nicht mit dem jetzigen. Die Physik des Mittelalters ist eine Art Naturphilo-
sophie und hat mit wirklich physikaischen Dingen nichts zu tun. In der
Musik beschränkte man sich nicht auf eine musikalische Ausbildung,
sondern gab ihr eine theoretische, wissenschaftliche Grundlage. Die Ab-
hängigkeit der Tonhöhe von der Länge der Saite und dem sie spannenden
Gewicht wurde am Monochord experimentell gezeigt, und daher durfte
dieser älteste physikalische Apparat in der Lehrmittelsammlung keiner