72
I. Abschnitt: Altertum und Mittelalter.
im 15. Jahrhundert dadurch bemerkbar, daß sie in diesem Zeitraum sich
als ein selbständiges Nominalfach von den übrigen Vorlesungen der Ar-
tistenfakultät loslöst. Den Anfang hierin machte die Universität Bologna
in Italien. Freilich ordnete schon 1378 in Frankreich der König Karl V. an,
daß in Paris zwei Lehrer der Mathematik angestellt werden sollten, allein
diese Anordnung scheint nicht befolgt worden zu sein. Dagegen finden wir
schon 1383 in Bologna einen eigenen Lehrer der Arithmetik, der nur über
dieses‘Fach zu lesen hat, während sonst bei der Verteilung der Vorlesungen
jeder bald grammatische, bald philosophische oder auch mathematische
Vorlesungen übernehmen mußte. Um 1400 hatte Bologna schon 2 Pro-
fessoren der Mathematik, von denen der eine lediglich über Astronomie,
der andere über Arithmetik und Geometrie zu lesen hatte. Dem Beispiele
Bolognas folgte Prag, wo um 1450 ebenfalls eine rein mathematische
Professur eingerichtet wurde. In Wien las Johann von Gmunden von 1420
an nur noch mathematische Kollegien, doch war dies noch keine offzielle
Einrichtung der Universität; sein Nachfolger Peurbach mußte wieder neben
mathematischen auch sprachliche Vorlesungen übernehmen. Erst unter
Maximilian wurden an der Wiener Universität zwei Lehrstühle der Mathe-
matik und der Astronomie errichtet. Diese Entwicklung der Mathematik
zu einem selbständigen Lehrfach der Artistenfakultät setzt sich bis ins
16. Jahrhundert hinein fort. Darum sei hier vorgreifend bemerkt, daß in
Deutschland die ‚„altkonservativen‘ Universitäten Heidelberg, Erfurt,
Leipzig sich nur langsam und widerwillig dieser Neuerung anbequemten,
daß aber in Tübingen 1510 Johann Stoeffler, der Lehrer Melanch-
thons, in Ingolstadt, das schon 1498 sich eines eigenen Astronomus rühmen
konnte, 1524 Peter Apianus, der erste Ordinarius der Mathematik und der
Astronomie wurde, daß in Wittenberg zuerst Volmar den Lehrstuhl der
Mathematik innehatte, und auf Betreiben Melanchthons 1532 eine Zwei-
teilung dieser Disziplin stattfand: die mathematica inferior — Arithmetik
und Geometrie wurden das Vortragsgebiet des Rheticus (1514—1576), die
mathematica superior — die Astronomie — hatte Erasmus Reinhold vor-
zutragen.
So hatte sich zu Beginn der Reformationszeit aus den Disziplinen des
mittelalterlichen Quadriviums der Artistenfakultät die Mathematik zu
einem selbständigen Lehrfach herausgearbeitet, das entsprechend der
wachsenden Bedeutung der mathematischen Wissenschaften eine geachtete
Stellung innerhalb des Unterrichtes an den Universitäten, der in jener
Zeit den Unterricht an den jetzigen höheren Schulen vertritt, einnimmt.
Wer sich über den damaligen Umfang des mathematischen und natur-
wissenschaftlichen Schulwissens unterrichten will, ohne für die einzelnen
Teile die gebräuchlichen, vorher besprochenen Kompendien alle zur Hand
zu nehmen, der sei auf die Margaritha philosophica des Gregor Reysh (1503)