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Allgemeiner Teil.
richt als: maßgebend betrachten. Als einzige Erklärung für diese merk-
würdige Unstimmigkeit kann man vielfach nichts anderes finden, als daß
die Gegnerschaft gegen die organische Chemie sich in einer völligen Ver-
kennung des strittigen Gebiets begründet. Wir wollen doch nicht etwa
die 90000 Verbindungen aus Beilsteins Handbuch mit den sämtlichen
dazugehörigen Reaktionen von unseren Schülern auswendig lernen lassen!
Dazu: haben wir zu viel und Besseres zu tun. Der Parole, die auf der Göt-
tinger Tagung des Vereins zur Förderung des mathematischen und natur-
wissenschaftlichen Unterrichts für Physik ausgegeben wurde: Beschränkung
des Arbeitsgebietes zugunsten einer. intensiveren Behandlung einzelner
Abschnitte, müssen wir für die organische Chemie schon gleich von Anfang
an eingedenk sein, wenn wir uns das eroberte Feld auch sichern wollen.
Der schlimmste Gegner der organischen Chemie ist die althergebrachte
Methodik des Unterrichtsfaches selbst. Sie beeinflußt in allzu starkem Maße
die Auswahl des Stoffes. Der gewöhnliche Demonstrationsunterricht pflegt
das getreue Abbild des organischen Kollegs zu sein, welches der Lehrer auf der
Hochschule hörte. Nun beschränkt sich aber die Vorlesung darauf, die Er-
gebnisse anderer Forscher zusammenzufassen und die Tatsachen nur durch
ganz vereinzelte, besonders auffallende und weithin sichtbare Vorgänge
zu demonstrieren, alles übrige der praktischen Tätigkeit des zukünftigen
Lehrers überlassend. Zur Demonstration stehen nun der Schule wesentlich
weniger Versuche und Materialien zur Verfügung als sie die Vorlesung
bieten kann. Die wichtigste Gelegenheit zum Beobachten, das eigene
präparative Arbeiten im Laboratorium, wird an manchen Schulen für den
Unterricht nicht hinreichend ausgenutzt. So wurde denn vielfach auch
in der Schule das System der organischen Chemie in dozierender Weise
abgehandelt, schlecht und recht, aber mit nur geringem inneren Erfolge.
Denn welchen Nutzen gewährt es den jungen Leuten, wenn sie die Reihe
der Alkohole auswendig lernen, womöglich noch mit Siedepunkten und Ge-
frierpunkten, oder wenn sie die Karbonsäuren nach steigendem Kohlen-
stoffgehalt aufzählen, nachdem sie‘ dieselben (günstigstenfalls!) in wohl-
verkorkten Gläschen als ausnahmslos farblose, ganz gleichartige Flüssig-
keiten gesehen haben?‘ Ist es da nicht besser, anstatt der Reihe eine
einzelne Säure herauszugreifen, dieselbe gründlich und nach allen
Regeln der induktiven Wissenschaft zu studieren, ihren Zusammenhang
mit dem entsprechenden Alkohol durch eigene Gedankenoperation und
praktische Tätigkeit experimentell festzulegen? Ist einmal die Unter-
suchung für eine Substanz der Reihe gründlich und mit Verständnis
durchgeführt, so läßt sich mit Hilfe besonders kennzeichnender Reaktionen
des praktischen Unterrichts leicht. das Übereinstimmende in allen Säuren,
in allen Alkoholen herausfinden.‘ Dann ergibt sich die Reihe der Säuren
und: Alkohole von selbst...
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