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Lehrbuch und Lehrer.
sein Herz verdoppeln; denn er braucht ein Herz für die Welt, die er sieht, und
ein Herz für die Sprache, in der er nun denkt und dichtet.“ Und: „im Grunde
ist doch nur der ein rechter Naturschilderer, der uns seın Herz drinnen ebenso
überzeugend zu künden weiß wıe die Natur draußen. Denn nur dann klingt
es in uns mit, wenn es in ihm erklang, nur dann spricht seine Sprache zu
unserem Herzen, wenn von seinem Herzen Blut und Pulsschlag darin ist.“
So schreibt Friedrich Ratzel, und seine tiefen Ausführungen in dem treff-
lichen Bändchen ‚Über Naturschilderung “seien in erster Linie jedem Geo-
graphielehrer zum Nachdenken anempfohlen,
\G, Das Lehrbuch,
Zwei Methodiker haben sich in den letzten Jahrzehnten vor allen mit der
Erörterung der Leitfadenfrage befaßt. Im Jahre 1900 eröffnete der rührige
österreichische Methodiker A. Becker in der von ihm geleiteten „Zeitschrift
für Schulgeographie‘““ eine Art Sprechsaal über die Einrichtung erdkundlicher
Schulbücher, dessen Äußerungen er selbst durch 39 Leitsätze Rahmen und
Richtung gab’. Nach einer vier Jahrgänge umfassenden Aussprache über den
Gegenstand gab Becker im Jahre 1904 eine Übersicht der geäußerten Wünsche.
Eine weitere treffliche Behandlung des Gegenstandes verdanken wir E. Fulda?
Vieles ist seitdem von den Leitfadenbearbeitern verwertet worden?. Trotzdem
ist noch keine Einhelligkeit erzielt, und jeder Fachlehrer wird versuchen,
seinen eigenen Standpunkt in der schwierigen Streitfrage zu gewinnen.
l. Lehrbuch und Lehrer. Eins sei von Anfang an scharf betont:
Übermittler alles Schulwissens ist und bleibt der Lehrer. Er
wählt den Stoff unter Berücksichtigung der amtlichen Pläne und der ört-
lichen Umgebung, sowie unter Anpassung an den geistigen Stand der Klasse
aus. Er richtet sich nach den zu Gebote stehenden Anschauungsmitteln und
gibt der Darbietung die geeignetste Form, bald einer Auflösung in Entwick-
\ungsfragen, bald einer zusammenfassenden Schilderung. Ein Lehrer, der das
Schülerbuch zu seinem Stellvertreter macht, der dessen Inhalt abschnitt-
weise durchnimmt, die Stoffaneignung wohl gar den Schülern überläßt und
sich selbst nur mit dem Abhören begnügt, taugt nichts. Umgekehrt ist ein
Leitfaden zu verwerfen, der den Lehrer überflüssig zu machen sucht, indem er
den Stoff entwickelt, wie es der lebendige Unterricht tun soll oder indem er
rein methodische Gliederungen durchführt (Formalstufen ).
1 A. Becker, Grundsätze für Lehrbücher der Geographie. Zeitschr. f. Schulgeogr. 2. Jg.,
1901. — Ders. , Grundsätze für Lehrbücher der Geographie. Ergebnisse. Ebend.25. Jg., 1904
? E. Fulda, Anforderungen an ein Lehrbuch der Erdkunde für höhere Schulen. Geogr.
Zeitschr. 8. Jg.
®* Vgl. R. Lehmann, Der erdkundliche Unterricht an höheren Lehranstalten., 2. Bd. Halle,
Tausch & Grosse 1913. — H. Trunk, Die Anschaulichkeit des geogr. Unterrichts. Leipzig,
Teubner 1911. 5. Aufl. — B. Bruhns, Die besondere Aufgabe des geogr. Lehrbuches
neben dem Atlas und den Anschauungsmitteln. Geogr. Zeitschr. 1909.