Itschners Gegenwartskunde,
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Unter den Vertretern der Rifferschen Schule hat es vor allem Oberländer! emp-
fohlen. „Der bei der Betrachtung der einzelnen Erdräume zur Sprache kom-
mende geographische Stoff ist jederzeit logisch nach immer wiederkehrenden
Gesichtspunkten zu ordnen.‘ Dagegen wendet sich Frifzsche? mit dem Urteil:
„Weil das geographische Schema von vornherein den Stoff nach logischen
Gesichtspunkten ordnet, stellt es die Übersicht höher als die Einsicht und das
tote Wortwissen höher als die lebendige Anschauung. Darum kann das
Schema auch nicht die Grundlage bilden für die Behandlung eines geogra-
phischen Individuums.‘“ Er wünscht an Stelle der sich stets wiederholenden
Gliederung an die Spitze einer jeden länderkundlichen Unterrichtseinheit
irgendeinen sachlichen Gesichtspunkt zu stellen, dem gestaltende Kraft-
innewohnt. So behandelt er in seinem Handbuche? die Oberrheinische Tief-
ebene als Süddeutschlands großen Fruchtgarten, das Schwäbische Stufenland
als den wechselvollen Naturpark Süddeutschlands, die Balkanhalbinsel als
den unruhigen Winkel Europas. An der Hand dieses obersten Gesichtspunktes
gestaltet sich z. B. der Gang der Behandlung folgendermaßen: 1. Inwiefern
kann die Balkanhalbinsel als der unruhige Winkel Europas bezeichnet wer-
den? (Lage, Weltstellung.) 2. Wie kommt es, daß die Balkanhalbinsel fort-
während von Unruhen heimgesucht wird? (Völker, Staaten.) 3. Wodurch
wurden die Balkanwirren begünstigt und was haben sie zur Folge gehabt?
(Landschaften a—e.)
Noch schroffer als Frifzsche wendet sich /fschner* gegen streng systematische
Darbietung. Für ıhn wächst aller Unterricht aus dem Leben heraus. „Der
Erzieher muß das Leben ın seinen Brennpunkten suchen.‘ Das heißt in An-
wendung auf die Erdkunde: sie muß ausgesprochene Gegenwartskunde
werden, muß die politisch-nationalen Gesichtspunkte in den Vordergrund
stellen und den Stoff in künstlerisch freier Gestaltung an den Schüler heran-
bringen. „Gerade wenn man mit künstlerischem Blick die Brennpunkte des
Lebens in einem Landindividuum herausgefunden und sich befähigt erweist,
zugleich ein Zentrum spekulativer Fragen zu erregen, deren Beantwortung
zu einem klaren Bild des Wesens der Erscheinung führt, so hat man eigentlich
nichts anderes getan als ein Problem gestellt, ist seiner Lösung nachge-
gangen und hat schließlich, die Ergebnisse dieser Arbeit zusammenfassend,
einen Individualbegriff erarbeitet.‘ Die Arbeit des Methodikers am Schreib-
tisch läßt sich in folgende zwei Hauptakte auseinanderlegen:
' Herm, Oberländer, Der geographische Unterricht nach den Grundsätzen der Ritter-
schen Schule. Leipzig 1911. 7. Aufl, (Der jetzige Bearbeiter P. Weigeldt hat Oberländers
Forderung stark eingeschränkt. Vgl. S. 147.)
? Rich, Fritzsche, Dieneuen Bahnen deserdkundlich. Unterrichts. 2.Aufl. Langensalza 1906,
3 Rich. Fritzsche, Methodisches Handbuch für den erdkundlichen Unterricht in der
Volks-, Bürger- und Mittelschule. 3 Bde. Langensalza, 3. Aufl., 1905—1911.
* Herm, Itschner, Lehrproben zur Länderkunde von Europa. Leipzig, Teubner 1904.
Vgl. Abschnitt daraus Band Il!