Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

Das Vorzeigen. 
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zusammenhängende Vortrag sehr viel Zeit. Das spürt jeder, der von der 
Schulbank in den Hörsaal der Universität übergesiedelt ist und dort zunächst 
unter der ungeheuren Fülle des Dargebotenen die innere Sammlung zu ver- 
lieren droht. Es kann auch im Schulunterricht recht wohl der Fall eintreten, 
daß der Lehrer einen Abschnitt in möglichst kurzer Zeit zu erledigen trachten 
muß und daß er dann die sonst geübte Mitarbeit der Schüler ausschaltet. 
Aber der Vortrag hat auch seine großen Schattenseiten: er verdammt den 
Hörer zu einer Passivität, die die Geisteskräfte oft rascher erlahmen läßt als 
regste Beteiligung. Jüngere Schüler haben nicht die Selbstzucht, lange Zeit 
sich einem fremden Gedankengang zu beugen, ohne abzuirren oder in einen 
Dämmerzustand zu verfallen. Ihr Wille bleibt ausgeschaltet und infolgedessen 
unausgebildet — darin liegt das Verdammungsurteil der wissenschaftlichen 
Pädagogik gegenüber dem Vortrag begründet. Aber die erwähnte Selbstzucht, 
der Zwang zum gespannten Zuhören, kann ebenfalls den Charakter bilden 
helfen; man muß nur die Sicherheit haben, daß dem Zwange Folge geleistet 
wird. Hierzu läßt sich auf der Oberstufe recht gute Anleitung geben, und 
zwar unter allmählich gesteigerten Anforderungen an die Leistungsfähigkeit 
der Schüler. Zunächst trage der Lehrer nicht zu große Abschnitte vor, wieder- 
hole dann die Hauptgedanken und diktiere sie ins Merkheft. Später fällt das 
Diktat weg, die Schüler formen die Hauptsätze nach erfolgter Zusammen- 
fassung selbst. Dann lasse man während des Vortrags Notizen machen und 
diese zu Hause zu einer schriftlichen Zusammenfassung verarbeiten. Schließ- 
lich fordere man während der Unterrichtsstunde eine „Niederschrift‘“ nach 
Art der Sitzungsberichte und spreche diese nachträglich durch. Die Eigenart 
des erdkundlichen Unterrichts ermöglicht noch eine weitere Erschwerung an- 
zubringen, indem der Vortragende das fortdauernde Betrachten der Landkarte 
verlangt. Derartige Stunden sind schwierig für den Schüler, aber sie leiten 
den Oberprimaner hinüber zum Hochschulbetrieb. Und wie segensreich einige 
Übung und Anleitung im Führen eines „Kollegienheftes‘“ ist, das wird jeder 
Lehrer aus eigener Erfahrung bestätigen. Trotzdem wollen wir durchaus nicht 
empfehlen, nun den gesamten Oberprimaunterricht akroamatisch auszu- 
gestalten. 
Der freie Vortrag des Lehrers kann ergänzt oder ersetzt werden durch das 
Vorlesen geeigneter Bruchstücke aus den Klassikern geographischer Schilde- 
rung, wobei auch die Schüler selbst zum Lesen herangezogen werden. „Die 
Kinder sollen sich ihr Wissen nicht bloß erhören, sondern unter Leitung des 
Lehrers erlesen, zumal das Erlesen später für sie die wichtigste, wenn nicht 
die einzige Quelle der Weiterbildung ist“ (Harms). 
2. Das Vorzeigen,. 
Ersetzt der Unterricht das Wort durch die unmittelbare Anschauung der 
Natur, eines Versuches oder eines Bildes, so ist das Ergebnis sicher zuver- 
lässiger und einheitlicher. Wir gehen in den Botanischen Garten und lassen
	        
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