Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

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Lehrformen: Das Selbstfinden, 
die dort zu einem Florenbild zusammengestellten Alpenpflanzen betrachten. 
Wir besuchen das Zoologische Museum, wo in einem Schranke die Tierwelt 
Australiens oder Indiens vereinigt ist, Im Museum für Völkerkunde wird der 
Kulturbesitz der afrikanischen Neger betrachtet. Oder wir gehen ins Freie, 
vesichtigen ein Bachtal, eine Hafenanlage oder den gestirnten Himmel. Im 
Lehrzimmer endlich führen wir Lichtbilder, Wandbilder oder Naturerzeug- 
nisse vor — in allen Fällen verfahren wir „deiktisch‘‘. Solange es sich um deut- 
liche Einzelheiten, um Auffassung neuer konkreter Vorstellungen handelt, 
mag das Verfahren anwendbar sein. Meist wird sich aber auch schon hierbei 
herausstellen, daß der Lehrer mehr zu tun hat, als nur zu zeigen: er muß erst 
sehen lehren! Und dazu bedarf er der Wechselrede, der Hinweise. Solange 
unsere gesamte Erziehungstätigkeit die Schulung der Sinne hinter dem Wort- 
wissen so unglaublich zurückstellt wie bisher, wird das reine Vorzeigen nur 
recht ungenügende Ergebnisse haben. Wie Anschauungsmittel methodisch 
gründlich ausgenützt werden sollen, ist an anderer Stelle des Handbuchs aus- 
geführt worden. 
3. Das Selbstfinden. 
Das kleine Kind ist ein geborener Naturforscher, immer suchend, immer 
den Dingen auf den Grund gehend, immer auf Entdeckungsreisen. Es gehört 
die ganze verkehrt eingestellte Erziehungsmethode des „Buchunterrichts“ 
dazu, diesen Forscherdrang allmählich einzuschläfern und an seine Stelle den 
Autoritätsglauben — oder die Gleichgültigkeit zu setzen. Der erdkundliche 
Unterricht ist neben dem naturwissenschaftlichen in erster Linie berufen, an 
die angeborene Lust zum Sehen und Selbstfinden wieder anzuknüpfen, Der 
Lehrer tritt hierbei stark in den Hintergrund, er löst nur das Wollen aus und 
gibt ihm eine bestimmte Richtung. Wir stellen etwa die Aufgabe: Beobachtet, 
wo die Sonne beim Aufgange den Horizont berührt, beobachtet es wochenlang 
und erzählt dann, was ihr gesehen! Lest täglich mittags die Temperatur am 
Schulthermometer ab, tragt die Ergebnisse auf Millimeterpapier auf, ver- 
bindet die eingetragenen Punkte durch eine Kurve. Was lehrt diese Kurve 
z. B. für den April? Entnehmt dem Statistischen Jahrbuche die Zahlen für 
die wichtigsten deutschen Einfuhrstoffe, ordnet sie nach dem Wert, stellt dies 
durch verschiedenfarbige Papierstreifen dar und faßt das Ergebnis in einem 
allgemeinen Satz zusammen! Das sind einige Beispiele von verschiedenen 
Unterrichtsstufen, wie sich das Selbstfinden in nahezu reiner Form verwerten 
läßt. Es löst im Schüler eine besondere Entdeckerfreude aus, jenes Gefühl, 
das im „Heureka‘ des Archimedes seinen sprichwörtlichen Ausdruck ge- 
funden hat. Und in dieser Freude liegt der kraftentwickelnde, das Selbstver- 
trauen steigernde Wert der „heuristischen‘“ Lehrform. „Unsere Lehrer müssen 
immer mehr lernen, jede Arbeit, die sie mit den Schülern treiben, zu einem 
inneren Erlebnis zu machen, ihre lebendige Teilnahme an dem gemeinsamen 
Werk zu pflegen‘ (Reinhardf). Aber mit dieser Lehrform allein kommen wir
	        
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