Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

Wesen der Erdkunde. 
die physikalische Seite der Erdkunde besonders befruchtet. Scharfe Beob- 
achtung der natürlichen Verhältnisse, Berücksichtigung der geologischen Um- 
wandlungen brachten ihn dazu, die Oberflächenformen als etwas Gewor- 
denes aufzufassen; seine Geomorphologie wurde zu einer Entwicklungs- 
lehre der Erdoberfläche. Aber er blieb nicht einseitig auf diesem seinem 
Hauptarbeitsgebiete stehen, sondern entwickelte ein ebenso umfassendes wie 
einheitliches Arbeitsprogramm für die gesamte Erdkunde. Zunächst be- 
schränkte er das Gebiet wesentlich, indem er als eigentliches Feld der Erd- 
kunde nur die Erdoberfläche bezeichnete, allerdings nicht als Fläche 
schlechthin, sondern als Schicht, die sowohl die äußere Gesteinskruste, als 
auch die Wasserhülle, die Lebewesen und die untere Lufthülle umfaßt. Als 
Erdoberflächenkunde bedient sich die Geographie der gleichen Arbeits- 
mittel wie die Naturwissenschaft: der Messung und Beobachtung. Sie 
ist entweder beschreibend als darstellende oder spezielle Geographie; 
oder sie verfährt analytisch abstrahierend in der all gemeinen Geographie, 
Die spezielle Geographie ist zunächst eine Aufzählung aller Tatsachen aus den 
verschiedenen Naturreichen mit Beziehung auf einen gewissen Erdraum, also 
eine Chorographie (choros = Raum; von Marthe eingeführt 1877). Aber 
indem sie die Tatsachen. nicht einfach aufzählt, sondern „den Tatbestand 
durch Einführung des kausativen und des dynamischen Momentes in seinem 
ursächlichen Zusammenhang in Hinsicht auf jeden einzelnen Erdraum zu er- 
fassen strebt“, wird sie zur Chorologie. Die allgemeine Geographie bedient 
sich einer vierfachen Betrachtungsweise: der morphologischen (Aus- 
messung der Flächen, Linien, Volumina), stofflichen (in Anlehnung an 
Petrographie, Geologie, Bodenkunde), dynamischen und genetischen. 
Nach dem Objekt gliedert sie sich in die: 1. allgemeine physische, 2. biolo- 
gische, 3. Anthropogeographie. Die große Fülle des Stoffes müßte zu einem 
Zerfall der Erdkunde in Einzelfächer führen, sobald sie den einen leitenden 
Gesichtspunkt vergäße: die kausalen Wechselbeziehungen mit Rück- 
sicht auf die Erdoberfläche. 
In seinen Vorlesungen über Siedlungs- und Verkehrsgeographie! gibt 
v. Richthofen die Erklärung: „Geographie ist Wissenschaft von der Erdober- 
fläche und den Erscheinungen, die mit ihr in kausalen Wechselbeziehungen 
stehen. — In ihr gibt es zwei Betrachtungsweisen: die beschreibende der 
speziellen Geographie oder Länderkunde und die analytische Zergliede- 
rung und das synthetische Zusammenfassen nach Kategorien von 
Erscheinungen, wie sie in der allgemeinen Geographie zur Anwendung 
kommt. Beide Betrachtungsweisen gehen nebeneinander her. Die beschrei- 
bende gibt einen Schatz von Tatsachen, die allgemeine ordnet die Tatsachen, 
trennt sie von den Erdräumen; sie verfährt vergleichend. Die beschreibende 
ı Ferdinand v. Richthofens Vorlesungen über Allgemeine Siedlungs- und Ver- 
kehrsgeographie. Bearbeitet u. herausgegeben von Dr. Otto Schlüter. Berlin 1908.
	        
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