Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

F. v. Richthofen und Gerland, 
9 
Geographie entnimmt der allgemeinen dann wieder die Kenntnis der Kausal- 
beziehungen. Die Darstellung wird philosophisch. Die Chorographie wird 
zur Chorologie, zur Wissenschaft der Erdräume. Die Methode der Betrach- 
tung ist naturwissenschaftlich. Sie besteht in einer Analyse des Stofflichen, 
der Formen, der Kraftäußerungen, der zugrunde liegenden Kräfte. Alles 
wird so viel wie möglich nach Maß und Zahl bestimmt. Die Frage nach den 
Ursachen der Erscheinungen, nach ihrem Werden und Entstehen ist stets 
leitend.“ 
Mit F. v. Richthofen sind wir mitten in die Bestrebungen der Gegenwart 
hineingekommen. Schärfer umrissen als bei irgendeinem seiner Vorgänger, 
erscheint in seinen Schriften der Wesensinhalt der wissenschaftlichen Geo- 
graphie. Zwar hat jeder seiner Mitstreiter auf den neugegründeten Lehr- 
stühlen für Geographie sich mit dieser schwierigen Frage abfinden müssen — 
waren sie doch fast alle zunächst Nichtgeographen, die sich ihr Lehrgebiet 
erst schaffen mußten —, aber ihre Ansichten sind schließlich nur Abände- 
rungen und Fortbildungen der eben dargelegten. Bald wird die physische 
Seite mehr in den Vordergrund gerückt, bald die anthropogeographische, 
bald der Dualismus stärker betont, bald auszugleichen versucht. 
Am weitesten zur rein naturwissenschaftlichen Auffassung neigt G. Ger- 
land!. Nach ihm ist die Aufgabe der Geographie das Studium des Erd- 
ganzen. Wenn der Geograph auch zur Kenntnis von den Bewegungen der 
Erde wenig beitragen kann, so fällt doch schon die Darlegung der Erdge- 
stalt ganz in sein Gebiet, weil „dieselbe mit durchaus georgaphischen In- 
strumenten zu erforschen ist“. Seine Hauptaufgabe aber ist die „Nach- 
weisung der fortwährenden unmittelbaren Wechselwirkungen zwischen Erd- 
innerem und Erdoberfläche, und deshalb gehört das Studium der tellurischen 
Kräfte durchaus in sein Arbeitsgebiet. Unter dem Namen Geophysik will 
Gerland — in weitester Fassung dieses Begriffes — „die Lehre vom Erd- 
festen, dem Erdganzen, ferner die vom Meere und dem sonstigen Wasser der 
Erde und von der Atmosphäre behandeln‘. So umfassend für ihn das Pro- 
gramm der Erdkunde nach der mathematisch-physikalisch-naturwissen- 
schaftlichen Seite ist, so wenig ist er geneigt, einen historischen Einschlag 
anzuerkennen. „Es gibt kein verknüpfendes Band zwischen Naturwissen- 
schaft und Geschichte.‘ „Die historische Geographie, die Riffersche Lehre, 
die Lehre von der Anthropogeographie gehört nicht in die Erdkunde.‘ Die 
Anthropogeographie, die „nur mit Wahrscheinlichkeiten rechnet‘, ist ihm 
nicht exakt, nicht wissenschaftlich genug; er überläßt deshalb dem Historiker 
„das gesamte topographisch-statistisch-politische Material‘. So gliedert sich 
für Gerland die Erkunde in: 1. Mathematische Geographie, 2. Geophysik, 
3. Länderkunde als angewandte oder lokalisierte Geophysik, 4. Geographie 
ı H. Wagner, Bericht über die Entwicklung der Methodik und des Studiums der Erd- 
kunde (1885—88). Mit ausführlichem Bericht über Gerland. Geogr. Jahrb. 12. Band 1888.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.