H. Wagner und Kirchhoff,
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Religionen, die Geschichte keine Forschungsobjekte der Geo-
graphie*,
Lag die Bedeutung der zuletzt genannten Forscher in der Weiterbildung der
Forderungen für einzelne Teilgebiete der Erdkunde, so sehen wir in Hermann
Wagner? den universellen Systematiker, der in seinem „Lehrbuch der Geo-
graphie‘“ alle Teile der allgemeinen Erdkunde mit gleicher kritischer Sorgfalt
behandelt — freilich ohne daß er dem Gesamtgebiete einen einheitlichen
Charakter zuerkennt. Und so wird er zum ausgeprägtesten Vertreter des.
Dualismus in der Erdkunde. Er erklärt folgermaßen: „Die Geographie zeigt
uns. einerseits die Erde als einen eigenartigen Naturkörper, an dessen
mannigfaltig gestalteter Oberfläche eine Fülle von Naturerscheinungen durch.
ihr gesetzmäßiges Ineinandergreifen das Leben zahlloser Einzelwesen bedingt,
andererseits betrachtet sıe dıeselbe als Wohnplatz eınes höher organisierten
und dem Naturwalten nicht blindlings hıngegebenen Wesens, des Menschen.
Im ersten Sinne ist die Geographie, als physische Erdkunde, eine reine
Naturwissenschaft, insofern sie ihre Lehren an der Hand der Betrach-
tungen äußerlich wahrnehmbarer Natur-Objekte und -Erscheinungen auf-
baut. Sie unterscheidet sich von den einzelnen Zweigen der Naturwissen-
schaften, mit denen sie dıe Gegenstände vielfach teilt, vor allen Dingen darin,
daß sıe stets den Gründen der räumlichen Anordnungen von Natur-
körpern und -erscheinungen an der Oberrläche des Erdballes nachspürt; sie
bleibt daher nicht, wie vielfach die Einzeldisziplinen, bei den Ursachen der
Existenz von Einzelwesen oder Vorgängen stehen, sondern sucht die Wir-
kungen zu erforschen, welche diese verschiedenartigen Existenzen wieder
auf andere oder auf die Gesamtheit aller sich berührenden Erscheinungs-
formen ausüben.“‘
„Im anderen Sinne stellt die Erdkunde, indem sie die Eigenheiten der
Oberfläche erforscht, den Menschen mitten in die Schöpfung hınein und
zeigt, wie er einerseits von der ihn umgebenden Natur abhängig ist, anderer-
seits, wie er versucht hat, sıch dieser Abhängigkeit zu entziehen. Dieser
Zweig der Erdkunde, die historische Geographie im weiteren Sinne,
bildet somit das verknüpfende Band zwischen Naturwissenschaft und Ge-
schichte. Auch für diese ist die physische Geographie Grundlage und Voraus-
setzung, weil es sich bei ıhr gleichfalls um die Ergründung der Ursachen
handelt, durch welche die räumliche Anordnung menschlicher Erscheinungen
bedingt ist. Hiernach ist die Geographie eine naturwissenschaftliche
Disziplin mit einem ihr innewohnenden historischen Element.“
Hermann Wagner, dessen Lehrbuch noch immer keinen abgeschlossenen
länderkundlichen Teil erhalten hat, wird wirksam ergänzt durch Alfred
| Hettner sagt demgegenüber: „Wenn man das geistige Leben herausläßt, so bleibt die
geographische Erkenntnis des Menschen Stückwerk.““
2 Herm. Wagner, Lehrbuch der Geographie. 10. Aufl. 1. Bd. Hannover u. Leipzig 1920..