Full text: Allgemeiner Teil (6. Band, 1. Teil)

20 Beziehungen der Erdkunde zu.den Nachbarwissenschaften. 
Der Geograph, der in einem Kulturstaat arbeitet, hat sich gewöhnt, die 
rein messende und konstruierende Tätigkeit von anderen Kräften ausführen 
zu lassen, und die Methoden der Geodäsie sind jetzt so schwierig, daß er 
kaum in der Lage ist, sie kritisch zu beruteilen, geschweige denn sie selbst zu 
benutzen, Geht er hinaus in jungfräuliche .Gebiete, so muß er sich mit der 
Gewinnung roher Annäherungswerte begnügen, mit einfachen Routen- 
aufnahmen — und das ist wohl das einzige, was aus dem Bereich der „prak- 
tischen Geometrie‘ noch zu den Aufgaben des Fachgeographen gezählt wer- 
den kann. Hierin möchte aber jeder Studierende unserer Wissenschaft unter- 
wiesen werden, sei es auch nur, um den Wert oder Unwert einer Original- 
aufnahme einigermaßen beurteilen zu können}. 
Aus den Naturaufnahmen, den Meßtischblättern oder Krokis, größere Ge- 
samtbilder zuschaffen, ist Aufgabe der Kartographie, die unlösbar ver- 
knüpft ist mit der Kartenprojektionslehre. Sie ist in ihren Grund- 
lagen angewandte Mathematik, in ihrem weiteren Ausbau eine Technik, ja 
eine Kunst, deren Beherrschung eine Lebensarbeit erfordert. Sie mündet 
aus in eine zweite Technik, in die der Reproduktion, des Kartendruckes. 
Obgleich auch auf diesem Gebiete der geographische Forscher sich mit der 
Anfertigung der grundlegenden Skizze begnügen und alle Feinarbeit dem 
Techniker überlassen muß, ist doch eine enge Fühlung zwischen beiden 
dringend erwünscht. Der Geograph muß in der Lage sein, für jede Karten- 
darstellung den geeigneten Netzentwurf herauszufinden; der Kartograph 
darf nicht mechanisch Striche zeichnen, sondern er muß ein feines Gefühl für 
Oberflächenformen, ja selbst für ihre Entstehung haben; er muß also seine 
zunächst technische Arbeit wissenschaftlich durchdringen. Mit Recht fordert 
deshalb namentlich Perick, daß die gelockerten Beziehungen zwischen Erd- 
kunde und Kartenkunde sich wieder festigen möchten. 
Seit wir mit v. Richthofen die Erdkunde als eine Erdoberflächenkunde 
auffassen, fällt auch alles das aus ihrem eigentlichen Forschungsbereich, was 
die Physik des gesamten Erdkörpers, besonders des Erdinneren, betrifft: 
Dichte, Aggregatzustand des Erdinneren, Erdmagnetismus; Erdbeben — 
Fragen, die man neuerdings einer besonderen Wissenschaft, der Geophysik?, 
zuweist. Schwieriger ist die Grenzführung innerhalb jenes Gebietes, das man 
als „physische“ oder „physikalische“ Geographie bezeichnet. Die Erforschung 
der drei Oberflächengebilde — Luft-, Wasser- und Gesteinshülle — ist ihre 
Aufgabe; aber es gilt vorsichtig auszusondern, was nichts mit der räumlichen 
Ausbreitung oder mit der „dinglichen Erfüllung“ der Räume in ihrem ur- 
sächlichen Zusammenhang zu tun hat. Wenn z. B. Wegener? in seiner „Ther- 
‘ Vgl. Neumayer, Anleitung zu wissenschaftlichen Beobachtungen auf Reisen. Han- 
nover, 3. Aufl., 1906. ; 
* S, Günther, Handbuch der Geophysik. Stuttgart 1897. 
» A. Wegener, Thermodynamik. der Atmosphäre. Leipzig 1911. ; .
	        
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