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Lehrstoff für Quarta.
suchend. Marder, Füchse, Hasen folgen in endloser Zahl. Das Renntier
scharrt das dürftige Moos unter dem Schnee hervor, nicht selten aufge-
scheucht von seinem schlimmsten Feind, dem gefräßigen Wolf.
Im kurzen Frühling-Sommer ist die Tundra nicht wieder zu erkennen.
Von Süden ziehen heran, wie dunkle Wolken die Sonne verhüllend, zahllose
Scharen von Polarenten, Gänsen und Schwänen, Das Ohr wird taub von
dem durchdringenden Geschrei und Geschnatter, das ohne Unterbrechung
aus den Lüften herabtönt. Zwischen den buntfarbigen Moosweideplätzen
der Renntiere schimmern hier und da Seen, wie Stückchen blauen Himmels.
Dürftige Grasflächen mit verkrüppeltem Gesträuch durchsetzen in schmalen
Streifen die trockneren Stellen der Tundra. Wolken von Mücken und
Bremsen erfüllen die Luft, und ohne die kalten Nächte und die tiefen Erd-
spalten, in denen während des ganzen Sommers der Schnee nicht schmilzt,
würden die Renntiere von diesen schrecklichen Feinden alles Warmblütigen
vernichtet werden. Für den Samojeden, den darbenden Stiefsohn der Natur,
beginnt jetzt die lebhafte Zeit der Sommerarbeit. Aber auch die Schönheit
der Sommertundra birgt Verderben für den Wanderer, Unter dem bunten
Teppich lauert an den wärmeren Stellen auf den Unvorsichtigen beweglicher,
tiefer Sumpf, der selbst unter dem Schneeschuh nachgibt. Nur das Renn-
tier wandert ungefährdet über den trügerischen Boden; der Jäger geht hier
häufig spurlos zugrunde.
3. Die Steppe. Wir wählen denselben Gang: das Wandbild wird analy-
siert. Die wesentlichen Kennzeichen werden gewonnen: die endlose Ebene,
der Mangel an Bäumen, das Vorwiegen der Gräser. Warum? Nicht der
schlechte Boden ist schuld; denn er ist nur im äußersten Südosten dürrer
Sand, sonst derselbe Lehm wie in den fruchtbarsten Getreidelandschaften
weiter nördlich. Die sommerliche Trockenheit schließt alle Gewächse aus,
die nicht während der feuchten Jahreszeit ihren Lebenslauf beschließen
oder die nicht durch besondere Schutzvorrichtungen (Wasserspeicher) die
lange Durstzeit überstehen können. So ist zum Verständnis der Landschaft
das Eingehen auf das Klima, auf den jahreszeitlichen Wechsel unerläßlich,
Wir geben die hierzu nötigen Einzelheiten bei der Besprechung Rußlands,
weil die uns sonst ja näherliegende Pußta bereits allzu sehr in Kultur ge-
nommen ist.
Die Jahreszeiten in der Steppe (nach Meyer-Waldeck). Nach der
Schneeschmelze verwandelt sich die Oberfläche der Steppe, wo nicht alter
dichter Rasen eine feste Decke bildet, in einen schwarzen, flüssigen Brei, der
keine Stelle bietet, wo man den Fuß sicher hinsetzen kann. Von allen Er-
höhungen herab, in alle Täler und Einsenkungen rauschen Ströme schmutzig-
braunen Wassers. Die Oberfläche des Bodens verändert sich über Nacht; die
strömende Flut reißt klaftertiefe Schluchten auf, lange Talstrecken werden
oft in wenigen Tagen mit einer meterdicken Erdschicht bedeckt.