Full text: Besonderer Teil (6. Band, 2. Teil)

Oberstufe. 
Die Geschichte verfolgt die Kulturentwicklung unseres Volkes bis in 
die Anfänge unserer Zeitrechnung, die der alten Kulturvölker noch um einige 
Jahrtausende weiter zurück. Die Vorgeschichte soll die Unterweisung 
in die geschichtslose Zeit hineinführen, soll naturwissenschaftliche, geolo- 
gische Untersuchungsarten auf das Gebiet der Kulturlehre anwenden. Aber 
ihre Quellen fließen spärlich und trübe; sie geben nicht hinreichende Auf- 
klärung zum Aufbau einer wirklichen Kulturgeschichte der Menschheit. 
Hier kann der erdkundliche Unterricht helfend einsetzen, wenn er eine der 
wichtigsten Hilfswissenschaften der Erdkunde in den Kreis seiner Betrach- 
tungen aufnimmt: die Völkerkunde. Sie zeigt im räumlichen Neben- 
einander die Entwicklungsstufen der menschlichen Kultur, die 
die Vorgeschichte als „Kulturschichten‘ — geologisch gespro- 
chen — übereinander kennen lehrt. So schlägt sie die Brücke von 
der Chronologie zur Chorologie, von den Methoden der Geisteswissen- 
schaften zu jenen der Naturwissenschaften. Darin liegt der Wert der Völker- 
kunde innerhalb des Gesamtwissens. 
Damit hängt unmittelbar ihre Bedeutung für das Verständnis der 
Wirtschaftserdkunde im weitesten Sinne zusammen. Erst muß man 
verstehen, wie ein Naturvolk sich mit den Gegebenheiten 
seiner Umgebung abfindet, wie es seinen Lebensunterhalt dem eigenen 
Boden abringt, wie es dann allmählich zum Tauschverkehr mit Nachbar- 
zebieten übergeht, ehe man die Fäden zu entwirren versucht, die die deutsche 
Volkswirtschaft mit der ganzen Welt unauflöslich verstricken. 
Auch einen unmittelbar praktischen Nutzen hat die Völkerkunde: sie 
weitet unseren Blick, trägt dazu bei, daß wir fremde Lebensformen 
verstehen und richtig einschätzen lernen. Die Kenntnis fremden 
Volkstums, vor allem auch der einfachen Naturvölker, bewahrt vor Miß- 
verständnissen und Mißgriffen. Ein Volk, das kolonisieren, das niedriger 
stehenden Rassen seine eigenen Kulturgüter übermitteln will, muß erst 
den Boden kennen lernen, dem es seine Kultursaat anvertrauen will. Die 
Geschichte der deutschen Kolonialpolitik ist reich an warnenden Beispielen 
hierzu. Das beschämend geringe Verständnis, das selbst verantwortliche 
Führer des Volkes bei uns vielen Fragen kolonialer Betätigung entgegen- 
brachten — und entgegenbringen, hat seine tiefere Ursache in dem Mangel 
jeder völkerkundlichen Schulung. Viel Enttäuschung, viel Gut und Blut 
wäre uns erspart geblieben, wenn wir von Anfang an uns mehr mit dem 
Seelenleben der „Wilden“ und mit ihren einfachen und doch so stark natur- 
bedingten Kulturformen vertraut gemacht hätten?. 
Völkerkundliche Fragen sind im erdkundlichen Unterricht bisher stark 
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ı Vgl. F. Gräbner, Methode der Ethnologie. Heidelberg, C. Winter, 1911. — W. Foy, 
Führer durch das Rautenstrauch- Joest-Museum der Stadt Köln. 1908. — F. Ratzel, Die 
zcographische Methode in der Ethnographie, Geogr. Zeitschr. 1897.
	        
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