Full text: Besonderer Teil (6. Band, 2. Teil)

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Oberstufe. 
XI. England und die Türkei (späterer Zusatz). 
Deutschland hatte vor dem Kriege ein gutes Stück Kulturarbeit in 
Vorderasien geleistet, und verheißungsvolle Zukunftsaussichten eröffneten 
sich. Der Ausgang des Weltkrieges zeigt England als Sieger und gleich- 
zeitig als Vernichter aller unserer orientalischen Pläne. Mit bewunderungs- 
würdiger Zielsicherheit — und mit rücksichtsloser Selbstsucht hat es fol- 
gende Absichten anscheinend verwirklicht: 
1. Ägypten bleibt trotz amtlicher Selbständigkeit der gesicherte Wacht- 
posten an der Wasserstraße nach Indien. 
2. Die Araber werden von der Türkei abgesprengt und als englischer 
Vasallenstaat in das große britische Uferreich am Indischen Ozean ein- 
gegliedert. 
3. Das petroleumreiche „Königreich‘‘ Mesopotamien gehört zur britischen 
‚Einflußsphäre‘“‘, 
4. Südpersien verliert seine letzte Stütze in dem an den Persischen Golf 
vordrängenden deutsch-türkischen Block und verfällt ebenfalls dem britisch- 
indischen Landgebiete. 
5. Der Landweg vom Golf von Iskenderun (Cypern!) nach dem Per- 
sischen Golf kommt unter englischen Einfluß. 
6. Die Bagdadbahn wird — nachdem Deutschland sein Geld und seine 
technische Erfindungsgabe geopfert hat — englisches Einflußgebiet (vgl. 
Suezkanal und französisches Kapital!). 
7. Konstantinopel kommt unter die Aufsicht der seefahrenden Mächte. 
also Englands als vorherrschender Mittelmeermacht. 
8. Indien, dessen Abfall in gefährliche Nähe gerückt war, kommt wieder 
unter stärkere Fesseln durch die größere Verbindungsmöglichkeit mit dem 
britischen Herrenland. 
9. Englands schärfster wirtschaftlicher Wettbewerber Deutschland ver- 
liert seinen letzten Ausgang nach dem Orient, eines seiner wichtigsten Be- 
‚ätigungsfelder und einen Zugang nach Mittelafrika. 
10. Die auf dem Wege nach dem Orient liegenden Balkanstaaten ge- 
langen unter britischen Einfluß. 
Und woher dieser großartige Erfolg des britischen „Imperialismus“ ? 
Jeder Engländer ist von dem Welltherrscherberufe Englands durchdrungen 
als von einer göttlichen Mission. So vereinigt sich bei ihm religiöse Über- 
zeugung und Vaterlandsliebe mit Herrenbewußtsein. Ferner sieht der Eng- 
länder weit in die Zukunft; er fragt nicht nach Augenblickserfolgen und 
vorübergehenden Schlappen; er „denkt in Erdteilen und in Jahrhunderten‘‘, 
und die führenden Politiker haben immer einen praktischen Blick für große 
Zusammenhänge gehabt. Dazu kommt endlich der rücksichtslose Ver-
	        
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