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WAHRHEIT II 11.
wahrheit haben: es ist also sehr wahrscheinlich, dasz alle
diese geister ... Nicht mehr wahrheit haben, als die nyınfen,
liebesgötter und grazien der dichter. WıELAnD 1, 131 (Agathon
3,3); so gab er nicht allein dieser figur, die blos eine ge-
lachte wirklichkeit und wahrheit hat, wirkliche existenz, son-
dern er schuf auch in und für diesen Max ein zweites idol
erkünstelter natur, und gab auch diesem wirklichkeit und
leben. GErRvinus gesch, d. d. dichtung* 5, 442; altes lieben, altes
leben — ausgelöscht, verschüttet und begraben; sie haben
nur noch wahrheit in der dichtung. ConraD gelüflele masken 6.
in wahrheit, “in wirklıchkeit‘ s. oben sp. 868.
c) verwandt ist es, wenn wahrheit für berechtigung und be-
gründung des daseins steht oder für etwas, dessen dasein begründel
und berechtigt ist, im yeyensalz zu dem blosz äuszerlichen, schein-
baren, nichligen (ähnlich innere wahrheit, s. oben 8, c). diesen ge-
Lrauch kennt schon die sprache der mysliker: der mensche, der alsö
allin dinc geläzen hät an dem nidersten unde da sie teetlich
sint, der nimt sie wider in gote, dä sie wärheit sint. mysliker
2, 233, 10 (meister EcruarRt). ähnliches in der neueren philosophischen
sprache? in der sehnsucht der liebe nach dem entfernten
zgegenstand bekräftigt der abstracte idealist wider willen die
wahrheit der sinnlichkeit, L. FEuERBACH wesen des chrislien-
Ihums® 84; im schmerze verneint der mensch die wahrheil
der welt; alle dinge, welche die phantasie des künstlers und
die vernunft des denkers bezaubern, verlieren ihren reiz,
ihre macht für ihn; er versinkt in sich selbst, in sein ge-
müth. 255; eine principielle überzeugung von jener frage
(nach dem all) ist dem lebensprozesse für seine eigne
kraft und wahrheit unentbehrlich. Eucken wahrheitsgehalt der
religion 127; besteht keine überwelt, so bricht das geistes-
leben in sich zusammen, 80 verliert es seine eigne wahr-
heit, so wird es mit allem, was ihm charakteristisch ist,
eine leere illusion. 137.
eine wahrheit in diesem sinne: wie‘wässerig', wie trivial! (wird
man einwenden). ja wohl, sehr trivial. aber eine sehr triviale
wahrheit war seiner zeit auch der ehestand, welchen Luther ..
der scheinheiligen illusion des ehelosen standes entgegen-
setzte. L. FEuERSACH wesen des christenthums? 18; nur da, wo
dem gebete eine macht .. zugeschrieben wird, ist noch das
gebet eine religiöse wahrheit. 179; so lange das wahre, un-
geheuchelte christenthum existierte, so lange das christen-
!hum eine lebendige, praktische wahrheit war, so lange ge-
schahen wirkliche wunder. 188; bei dieser (secle der christen)
war die lehre eine praktische wahrheit: in den gemeinden
gab es keinen unterschied der stände mehr. v. SyBEL kleine
histor. schriften? 1, 13.
11) in einem gewissen gegensalz zu der im vorigen abschnilt
behandelten entwicklung des wortes steht es, wenn wahrheit die
bedeutung von ‘wahrhufligkeit' annimmi. der nachdruck wird dann
auf die getreue widerspieyelung des wirklichen sachverhalts durch
die rede gelegt, die auf die anluge und neigung des menschen,
die wahrheit zu reden, zurückgeführt wird, die bedeutung ‘wahr-
haftigkeit im reden’ zeigt sich auch zu ‘aufrichtigkeit, zuverlässig-
keit, treue’ erweitert. am deullichsten ist die bedeutung im mhd
ausgeprägt, während sie sich im nhd. nur wenig von der gewöhn-
lichen bedeutung des wortes abhebt,
a) in den wörlerbüchern wird nicht überall auf die bedeutung
rücksicht genommen? DIEFENBACH gl. 611° veracilas, warheit, wair-
heit, worheit; warheit, veracitas. MAALER 464°; die wahrheit,
candor, sincerilas, probilas. STIELER 2414; warheit, warhafftig-
keit, verila 0 veracita. Krämer 1209°; man kan sich zu ihm
keiner wahrheit versehen, Ihere fs no truth, or veracity, in him.
LuDwısc 2369; in der tugendlehre ist die wahrheit eine tugend,
nach welcher der mensch öäusserlich redet und thut, wie er
innerlich ,. gedencket und meinet .. sie .. begreift die wahr-
hafftigkeit des mundes, die einfalt der lauterkeit des hertzens,
und die redlichkeit des thuns und wandels. JABLONSKI (1748)
1321°. ADELUNG erwähnt wahrheit als ‘die ferligkeit in allen fällen
nur das wahr ist zu reden’, erklärt aber wahrhalftigkeit als das
zewöhnlichere,
b) im mhd, erscheint das wort häufig, wohl nicht ohne einflusz
des entsprechenden lat. veritas, oft auch in der erweiterten bedeu-
'ung ‘aufrichlige, zuverlässige gesinnung’; beliebt [ist die verbin-
lung wärheit und triuwe:
A si (die bischöfe) soltin leri di kristinheit
trüwi undi wärheit,
mid werchin irvullin
daz si demo 1üti vori zellin,
Lob Salomonis 234 Waag;
WAHRHEIT II 11.
an den sö volleclichen schein
diu triuwe und diu wärheit,
daz ir wort was ein eit, |
HartM, v. AUB Gregorius 3169 Paul $
der reine got vil üz erlesen,
der triuwe sich versinnet
und höhe wärheit minnet.
K, v., Wüörzsung Engelhard 5446;
er was ein trost den vründen sin,
demutik und wol gezogen ...
an wärheit er sich vienden liez,
livländ, vreimchron, 8168 Meyer;
es ist Friburg und Berne,
als es sich noch befint,
die kan nieman gescheiden
mit warheit under in beiden,
das wiszent jemer me. ,
LILIENCRON hist, volksl, 1,3,75
kunig von Frankreich fiel in ain schwere krankhait, |
ja ward fürgenomen stil mit trewen vieisz und warhait
ım auf das höchst zu warten trachtend nach seinem gesund,
lied auf könig Franz von Frankreich in Wagners
archiv 1,174;
bei dem widhopfen versten ich ainen jeglichen menschen ‚.,
der ainez in dem herzen hät und redt ain anderz mit dem
nund ... pfui dich, dü Schanden ritter, dü seist lai oder
pfalf, wie tregst du der &ren krön in valschait An manleichz
herze und än alle wärhait! K, v. MEGENBERG 228, 36; SO wil
3° (gott) ouch, daz wir einander wirde und ere erbieten,
riuwe und warheit, niht hazz und nit gein einander tragen.
Schwabenspiegel 1, 2 Gengler; treüw und warheit söllent ir zu
allen lüten haben, on argen list. leben Tauleri in dessen
predigen (Basel 1521) b 5°.
die wahrheit behalten, brechen, verlieren (das vertrauen
inbü ?): va N x
einbüszen?): „an si frägte, sö man giht,
war umbe er hate nahtes hin
beide zwischen si unt in
sin schwert geleit blöz unde bar,
hier an sö wart er wol gewar,
daz Dieterich der stwite
an im behalten hiete
gesellecliche wärheit.
K, v. WürzsurG Engelhard 5099;
daz niemen triuwe brache an in
und innecliche wärheit. 115;
wes sal ich dir getrüwen me?
1ü häst die wärhei, verlorn.
mir wart genzlich bi dir gesworn,
loch ist der schade mir widervarn,
ich wil mich immer ıne bewarn,
dag ich nicht achte üf dinen eit.
passional 20,8 Köpke,
treue und wahrheit halten, leisten erscheint namentlich als
Feste formel im huldigungseid der unterthanen: von erst hänt
die lechenlüt gesworen gantz trüw und warheit zehaltend deın
zotzhus und allen iren personen. weisth. 4, 9 (Elsasz 14. jahrh.);
lie undergänger sollen geloben und schwören, uns, und der
;tadt .. trew und warbeit zu halten, ihren nutz und frommen
zu fördern. würtemb. revid. bawordnung (1654) 8; und sollen
uch in sweren, trew und warhait ze laisten, und ouch zu
Jinen mit leib und mit gut. quelle des 14. jahrh. bei Scugerz-
DBERLIN 1942; ain amptinan sol schweren aim herren und
vogt trüw und warhait ze laisten und das ampt zuo ver-
sechen nach nutz und er ains vogtherren und ouch der nach-
puren, weisth, 5, 159 (S. Gallen 1465). an stelle dieser verbindungen
ıuch nur treue und wahrheit schwören:
si (die kurfürsten) swerend dem küng trüw und warhait;
taetend si das, das wer in laid,
des leufels nelz 7508 Barack;
li (der pfarrer) sal umi dan di heligen habi, daz he uf ge-
;veri sal mi richi hulde unde din burgerin truwe unde war-
ı1eit duse stad zu bihaldine svo he immir allirmeist kan.
„AMBERT rafhsgeselzgebung der st. Mühlhausen 177 (1256); dar-
1ach schwerent alle die, so ob vierzehen jaren sind, dem-
;elben unserm gnadigen herrn und gemeinem land treuw
ınd warheit, iren nutz und fromen zue fürdern, iren schaden
zue wenden und den einung, so harnach geschriben stat, zue
aalten. weisth. 5, 225 (Schwarzwald 1454),
ß) wahrheit hat als ‘wahrhafligkeit, aufrichtige gesinnung’ gern
dus possessivpronomen bei sich:
und twang in des sin wärheit,
daz ers doch niht verdagte,
wan daz er rehie sagte
sin schämelichez mare,
wiez im ergangen ware,
Hantm, v, AUB Erec 4537,
892
893
sein
setzen
di
ze hel
groten
hrave.
heltst
gott,
nimm«
nassto?
auf
heit