367 WAHRNEHMUNGSAKT
patriotische briefe (1767) 123; da die neuen ideen, welche uns,
bey dem durchdenken der bisherigen fortschritte des mensch-
lichen geistes, in irgend einem felde der erkenntnisz, ein-
xommen, grösztentheils neue wahrnehmungen sind, oder aus
der vergleichung von wahrnehmungen mit den bisher an-
genommenen grundsätzen entstehn. GArve versuche 2, 397;
diese vermuthung erhält weiter einen hohen grad von wahr-
scheinlichkeit durch die wahrnehmung, dasz es eben so eine
dreyfache capitis deminutio giebt. Savıcnv sysiem des röm.
rechts 2,62; man hört wol sagen, dasz in gesegneter ehe die
älteren kinder mehr dem vater, die jüngeren mehr der mutter
nachschlagen. ... haben solche wahrnehmungen irgend grund,
so stehn ihnen sicher zahllose ausnahmen entgegen. J. GRIMM
kl. schr. 1, 165; er gieng von der wahrnehmung aus, dasz man
die kirche nicht verbessern könne, wenn man nicht das reich
reformire. RanKe deutsche gesch. im zeitalter der reform. (1839) 104;
auch die ganz richtige wahrnehmung hat er gemacht, dasz
mit dem fortschritt im guten die erkenntnis der eigenen un-
vollkommenheit stetig wächst. Hauck kirchengeschichte Deutsch-
lands 4, 92.
5) wahrnehmung wie ‘“bemerkung’ (vgl. wahrnehmen Ill, 7):
alastik, einige wahrnehmungen über form und gestalt aus
Pygmalion’s bildendem traume. Riga 1778. HERDER 8, 1 Suphan.
WAHRNEHMUNGSAKT, m.: damit ein vollständiger wahr-
nehmungsact zu stande komme, bedarf es... einer... frei
zorstellenden thätigkeit. Imm. Herw. FıcHTE psychologie 1, 353,
WAHRNEHMUNGSBILD, n.7 Bonterwek erklärt sehr gut
Jas ästhetische gefühl aus dem urgefühle des menschen, mit
dem derselbe ... die welt mit all seinen auffassungsmitteln ...
ungetheilt in sich aufnimmt, so dasz in dem entstehenden
wahrnehmungsbilde beziehungen aller art sich zu einem...
eindrucke vereinigen, GRILLPARZER 9, 68 (zur ästh. im allg.);
das gemeine bewusztsein ... unterscheidet nicht das ding von
dem wahrnehmungsbilde. E, v. HARTMANN geschichte der meta-
physik 1,558; gesetzt nun aber, es gebe grundsätze, welche
die bezichung der wahrnehmungsbilder auf real seiendes noth-
wendig machen, SıGwanrT Zouik? 1, 400.
WAHRNEHMUNGSEINDRUCK, m. : dasz der wahrnehmungs-
and der empfindungseindruck desselben reizes von verschie-
lener stärke sein können. BENEDIKT seelenkunde 27.
WAHRNEHMUNGSERKENNTNIS, f.: dieselben (erkenninisz-
stufen) mögen der kürze halber als die stufen der wahr-
nehmungs-, der verstandes- und der vernunfterkenntnisz
bezeichnet werden. ... wir rechnen ... die umformungen der
ursprünglichen vorstellungsobjecte dem gebiete der wahr-
nelmungserkenntnisz zu, wenn dieselben schon innerhalb der
gewöhnlichen wahrnehmungsprocesse, ohne die hülfsmittel
und methoden wissenschafilicher begriffsbildung sich voll-
ziehen. WunDT system der philosophie 108.
WAHRNEHMUNGSFÄHIGKEIT, f.- auch das auge des ope-
rirten blindgebornen, worin auch sonst seine wahrnehmungs-
fähigkeit sich eigenthümlich verhalten mag, sicht sogleich eine
mehrzahl verschiedener punkte in fächenartiger ausbreitung.
LotzE medie. psychologie 360,
WAHRNEHMUNGSGABE, f.: die alte sitte, dasz der
wandersmann die sogenannten wahrzeichen der städte behalten
muszte, wollte wahrscheinlich die wahrnelmungsgabe, und
Jas hbeohachtungsvermögen ... erwecken. Jann volksthum 445;
die beobachtung wird stumpf, die wahrnehmungsgabe stirbt
ab, das darstellungsvermögen siechet. merke 177; es (das
säugelhier) zeigt unterscheidlungsvermögen, ... erkenntnis,
wahrnehmungsgabe, urtheil, schluszfühigkeit. Brenm thier-
leben? 1, 23.
WAHRNEHMUNGSGEGENSTAND, m., s. wahrnehmungs-
*nhalt.
WAHRNEHMUNGSINHALT, m.: der wahrnehmungsinhalt
ist der inbegriff des actuell erlebten, der wahrnehmungsgegen-
stand das, was durch die empfindungen repräsentiert wird.
Eıs.er wörterbuch der philos. begriffe? 2,690; umgekehrt wäre
ohne wahrnehmung und wahrnehmungsinhalt das vorstellende
bewusztsein völlig leer und inhaltlos. Im. Herm. FICHTE psycho-
logie 1, 389; auf diese weise scheidet sich der wahrnehmungs-
vorgang in zwei stufen: in eine synthese der empfindungen
zu einem räumlich-zeitlichen wahrnehmungsinhalt und in eine
analyse dieses inhaltes in einzelne gegenstände. WunDT sysiem
der philosophie 110.
WAHRNEHMUNGSKRAFT, f.: man sieht leicht, dasz wahr-
nehmungskraft, aufmerksamkeit, absonderung, reflexion und
WAHRNEHMUNGSVORSTELLUNG 968
\hstraction, wesentlich zu dem denken gehören. L.H. Jaxos
rfahrungs-seelenlehre? (1795) 201.
WAHRNEHMUNGSKREIS, m.: denn jeder äuszere sinn hat
‚einen wahrnehmungskreis, d. h., einen gewissen raum, über
velchen hinaus er die gegenstände entweder gar nicht oder
loch nicht klar empfindet, und einen ort, von welchem aus
ar die gegenstände am allerklarsten empfindet. dieser heiszt
ler wahrnehmungspunet. . . . einige (sinne) haben einen weiten,
ındere einen engen wahrnehmungskreis. L. H.Jarxos erfah-
rungs-seelenlehre? (1795) 127.
WAHRNEHMUNGSPOESIE, f.: Walter Scotts poesie eine
vahrnehmungspoesie, im gegensatz der anschauungspoesie. ...
er ist ein scharfer beobachter. ... das unerklärte lebens-
»rincip fehlt seinen figuren, GRILLPARZER 9, 213 (zur literargesch.).
WAHRNEHMUNGSPUNKT, m., s. wahrnehmungskreis.
WAHRNEHMUNGSQUELLE, f.: die wirkung .., die das
ndividuum durch seine natürlichste wahrnehmungsquelle, den
sinn, empfangen hat. GRILLPARZER 9, 92 (zur dsih, im allg.).
WAHRNEHMUNGSTHÄTIGKEIT, f.: es giebt keine selb-
ständige, ohne ein wahrgenommenes existierende wahrneh-
nungsthätigkeit. Eısı en das bewusztsein der auszenwelt 5.
WAHRNEHMUNGSURTHEIL, n.: empirische urtheile, so-
’ern sie ohjeetive gültigkeit haben, sind erfahrungsurtheile;
lie aber, so nur subjectiv gültig sind, nenne ich blose wahr-
ıehmungsurtheile. die letzteren bedürfen keines reinen ver-
;tandesbegriffs , sondern nur der logischen verknüpfung der
vahrnehmung in einem denkenden subject. KANnT 3, 215 (prole-
jomena zu jeder künfl. melaphysik); wenn ich sage: die luft
st elastisch, so ist dieses urtheil zunächst nur ein wahr-
nehmungsurtheil, ich beziehe zwei empfindungen in meinen
zinnen nur auf einander. will ich, es soll erfahrungsurtheil
1eiszen, so verlange ich, dasz diese verknüpfung unter einer
jedingung stehe, welche sie allgemeingültig macht. 3, 217;
ıäin wahrnehmungsurtheil ist folglich ein urtheil, welches
alosz aussagt, was man eben wahrgenommen (angeschaut
oder empfunden) hat, z. b. dasz es in diesem zimmer sehr
zeisz sei oder dasz es geblitzt oder gedonnert habe. solche
ırtheile lassen sich daher auch nicht beweisen. Kruc handıvb.
der philos. wiss. 4 (1829), 410; ebenso unmittelbar gewisz als die
jussagen des unmittelharen selbsthewusztseins erscheinen
jem natürlichen denken die wahrnehmungsurtheile, durch
welche wir aussagen über ein uns unmittelbar gegenwärtiges
auszer uns machen. SıcwarTt louik 2, 397.
WAHRNEHMUNGSVERMÖGEN, n.- es ist also (nach Eber-
rard) zwischen einem ding als phänomen und der vorstellung
Jes ihm zu grunde liegenden noumens kein anderer unter-
schied, als zwischen einem haufen menschen, den ich in
zroszer ferne sehe, und ebendemselben, wenn ich ihm so
nahe bin, dasz ich die einzelnen zählen kann; nur dasz er
behauptet, wir könnten ihm nie so nahe kommen, welches
aber kein unterschied in den sachen, sondern nur in dem
grade unseres wahrnehmungsvermögens ... ausmacht, KAanT
3, 344 (über eine entdeckung etc.); die sinne aher werden wie-
lerum in die äuszeren und den inneren sinn eingetheilt; der
ırstere ist der, wo der menschliche körper durch körper-
iche dinge, der zweite, wo er durchs gemülh afficirt wird;
wobei zu merken ist, dasz der letztere als bloses wahr-
jehmungsvermögen (der empirischen anschauung) vom gefühl
ler lust und unlust ... verschieden gedacht wird. 10, 153
‘'anthrop.); es ist aber das geschäft des wahrnehmungsver-
nögens zwiefach, und besteht 1. in der auffassung (appre-
jensio), welche überhaupt die wahrnehmung der veränderung
st; und 2. in der zusammenfassung (comprehensio), wodurch
lie mannigfaltigen aufgefaszten theile, d,i., die theilvor-
;tellungen, zu einem ganzen in der vorstellung verbunden
verden. L. H. Jaros erfahrungs-scelenlehre? (1795) 191; kleine
:inder, die ihr wahrnehmungsvermögen zuerst anwenden,
“\EDEMANN handb. der psychologie (1804) 98; diejenigen (zeugen),
ıus deren vernehmung sich erst zeigt, dasz sie an einer er-
ı1ehlichen schwäche des wahrnehmungs- oder erinnerungs-
‚ermögens leiden. öslerr. strafprocesz-ordnung von 1853, $ 133.
WAHRNEHMUNGSVORGANG, m.: Helmholtz ... führt näm-
ich alle wahrnehmungsvorgänge auf analogieschlüsse zurück.
Nundt physiol. psyrhologie* 2, 229.
WAHRNEHMUNGSVORSTELLUNG, f.: das gemeine he-
wusztsein ... würde niemals zugeben, dasz die dinge nichts
weiter als seine wahrnehmungsvorstellungen seien. E, v. HaRT-
tANN gesch. der metaphysik 1, 557.