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Im Artikel 4 des Münzgesetzes vom 9. Juli 1873: „Reichssilbermünzen werden bis auf Weiteres
höchstens zehn Mark per Kopf ausgeprägt“ ist eine Hinterthüre offen gelassen in der Fassung
„bis auf Weiteres“. Diesen Zeitpunct scheint“) man für gekommen zu erachten durch die beabsichtigte
Erhöhung des Maximums von 10 auf 15 Mark, was einer Erhöhung der Scheidemünzencircu—
lation (in Silber) von 410 auf 630 Millionen Mark gleich kommt. Schon bei Berathung des
Artikel 4 im Reichstage wurden gegen die Clausulirung Bedenken erhoben. Motivirt wurde
der Maximalbetrag von 10 Mark pro Kopf, welcher gegen die in der lateinischen Münzconvention
festgesetzte Maximalgrenze von 6 Franken um das Doppelte erhöht ist, durch den Hinweis, daß
der Ausprägung der silbernen Fünffrankenstücke keine Grenze gesetzt sei, die Maximalziffer von
10 Mark jedoch das silberne Fünffrankenstück einschließen. Außerdem sei es fraglich, ob diese
Grenze nicht eher zu enge gegriffen sei, was sich erst dann erörtern ließe, wenn die Einziehung
der Landessilbermünzen zum Abschluß gelange. Nun gab in der Reichstagssitzung vom 29. März
1873 der Bundescommissär Michaelis einen Voranschlag über die Vertheilung der circa
400 Millionen Silbermünzen, wonach 50 Millionen in Fünfmarkstücken, 150 Millionen in
Einmarkstücken, 100 Millionen in Fünfzigpfennigstücken, 100 Millionen in Zwanzigpfennigstücken
auszuprägen seien. Im damaligen Münzgesetzentwurf waren jedoch weder das goldene Fünf—
markstück, noch das silberne Zweimarkstück vorgesehen. Bei. einfacher Goldwährung sind nun
folgende Grundsätze für die Scheidemünzen maßgebend, wie die Motive zum Entwurfe auf
Seite 15 besagen:
1) Der Feingehalt muß etwas geringer genommen werden als er sich nach dem gesetzlich
angenommenen und dem Durchschnitt längerer Zeiträume entsprechenden Werth—
Verhältnisse zwischen Gold und Silber von 15,3: 1 stellen würde;
Die Pflicht zur Annahme von Silberscheidemünzen ist auf einem bestimmten Maximal-⸗
betrag zu beschränken;
es ist Vorsorge zu treffen, daß solche Münzen nicht in größeren Beträgen in den
Verkehr treten, als sie zur Ausgleichung von Zahlungen im kleinen Verkehr
erforderlich sind und daß, in so ferne sie irgendwo in großer Menge auftreten
eine Entlastung des Verkehrs vom Ueberschusse gesichert erscheint.“
Dem ersten Grundsatz ist entsprochen durch den Ausprägungsfuß von 100 Mark auf
das Pfund fein. Dies ergibt eine Unterwerthigkeit der Silberscheidemünzen von beinahe
12 Procent gegen ihren Nominalwerth, gegen 8 Procent bei den englischen und 7,78 Procent
bei den französischen Scheidemünzen. Jene Unterwerthigkeit erstreckt sich auch auf das silberne
Fünfmarkstück. Mit der Einreihung dieses silbernen Fünfmarkstückes ist aber das Princip der
reinen Goldwährung bedroht. Eine unterwerthige Scheidemünze ist nur dann gestattet, wenn
sie in den Dimensionen bleibt, die ihrer Bestimmung entsprechen. Ein Ueberschuß von Scheide—
münzen und von zu großen Scheidemünzen wirkt in seiner Art in derselben Weise auf den
Abfluß des edleren Metalles ein, wie Doppelwährung. Prägt man eine Silbermünze von
so hohem Werth so bedient man sich derselben im Verkehr thatsächlich als Courantmünze, so
bald sie in großen Beträgen circulirt. Man befindet sich in einem Doppelwährungszustand
derart, wie wir ihn durch Tarifirung des Silberthalers zu 3 Mark Gold gegenwärtig haben.
Die beschränkte Zahlungskraft bis zu Beträgen von nur zwanzig Mark wird im Allgemeinen
praktisch bedeutungslos bleiben. Das unterwerthige silberne Fünfmarkstück gibt also zu gewichtigen
Bedenken Anlaß. Es verstößt nicht nur gegen die Grundsätze einer soliden Münzpolitik, sondern
auch gegen das öffentliche Gefühl, eine Münze von so hohem Werth unterwerthig auszuprägen,
die schließlich doch die Courantmünze vertritt. Gerade die wirthschaftlich und social schlecht
situirten Klassen — und für diese ist sie berechnet, erhalten ihre Löhne oder Einkommen fort
und fort in diesen unterwerthigen Münzen und sie pflegen mit Vorliebe großes Silbergeld als
Sparpfennig zu thesauriren. Die öffentliche Meinung wird dadurch vollständig in die Irre
*) Oder schien man vor Kurzen; nachdem eine Besserung des Silberkurses eingetreten, ist die angeblich nöthige
Vermehrung der Silberscheidemünze vorerst in Vergessenheit gerathen.