256 8 15. Das Cavalierische Prinzip
a) Der Umfang eines jeden einem Kreise eingeschriebenen konvexen Polygons
ist kleiner als der Umfang eines jeden ihm umbeschriebenen konvexen Polygons.
b) Man kann durch hinlängliche Verkleinerung der einzelnen Seiten den
Umfang eines eingeschriebenen konvexen Polygons beliebig nahe an den Umfang
eines umgeschriebenen konvexen Polygons bringen.
Demnach streben die Umfänge sowohl der ein- als auch der umgeschriebenen
konvexen Polygone derselben Grenze zu, die unabhängig ist von dem zuerst ge-
wählten Polygon und von dem Gesetze, nach dem man die Seiten unendlich klein
werden läßt. Die auf diese Weise erhaltene Länge hängt nur von dem Kreise und
nicht von dem benutzten Polygon ab. Sie verdient aus diesem Grunde als der Umfang
des Kreises selbst angesehen zu werden. Zu ihrer Ermittlung empfiehlt es sich, von
ainem regelmäßigen Vieleck auszugehen und die Seitenzahl unbegrenzt oft zu
verdoppeln.
Dehn tadelt es auch, daß man die Mantelfläche des geraden Zylinders und
eines geraden Kegels in einer ganz anderen Weise bestimmt, als die Größe der
Kugelzone. Wir wollen davon absehen, daß die Methoden in ihrem Wesen näher
miteinander verwandt sind, als es auf den ersten Blick scheint, und daß der Lehrer
wohl imstande ist, die Einheitlichkeit beim Unterricht darzulegen. Wir möchten
aber umgekehrt fragen: Soll der Schüler erfahren, daß der Mantel eines Zylinders
and eines Kegels in die Ebene abgewickelt werden kann? Wenn diese Frage, wie
wir glauben, bejaht werden muß, so liegt es doch nahe, den Mantel eines geraden
Kegels und den eines geraden Zylinders durch Abrollen zu bestimmen.
Zum Schluß weisen wir darauf hin, daß Dehns Definition der Gleichheit zweier
Flächen in der von ihm selbst gegebenen Form sich für die Schule weniger eignen
dürfte, Will man sich ganz an ihn anschließen, so muß man den Inhalt der Kugel
kennen, ehe man die Mantelfläche des Zylinders und des Kegels berechnen kann.
Für die Ermittlung des Rauminhalts einer Kugel fallen daher alle Methoden weg,
bei denen man eine krumme Oberfläche benutzt, Unter den in den beiden letzten
Paragraphen mitgeteilten Methoden bleibt dann nur die eine übrig, die sich auf
das Cavalierische Prinzip stützt und die wir in 8 13, S. 217 dargelegt haben.
8 15. Das Cavalierische Prinzip.
]. Erweiterung des Begriffes eines. einfachen Polygons.
Ehe wir dazu übergehen, das Cavalierische Prinzip in voller Allgemein-
heit zu beweisen, müssen wir mit dem Begriffe eines Polygons eine Er-
weiterung vornehmen, auf die wir bereits früher (I. $ 4,4. S. 60 unten)
kurz hingewiesen haben. Um zu einem (ebenen) n%-Eck zu ge-
langen, sind wir dort von % Punkten einer Ebene ausgegangen und haben
liese so in eine feste Ordnung gebracht, daß auf den letzten Punkt wieder
der erste folgt. Indem wir dann jeden solchen Punkt zum Anfangspunkte
einer Strecke wählen, die ihn mit dem folgenden verbindet, erhalten wir
n Strecken, die ebenfalls in einer bestimmten Weise aufeinander folgen,
wobei sich wieder die erste Strecke an die letzte anschließt. Diese Strecken
bilden die Kanten (Seiten), die gewählten Punkte die Eckpunkte des er-
haltenen Polygons. Jetzt wollen wir den Begriff dadurch erweitern, daß
wir von % Strecken ausgehen, die in einer Ebene liegen, und der Forde-
rung genügen, daß jeder Endpunkt einer Strecke auch noch Endpunkt