30 VII. DAS AKADEMISCHE STUDIUM DES
ARCHITEKTEN
L* mittleren bautechnischen Schulen sollten aber auch noch
eine andere Bedeutung haben. Sie sollten das große Sammel-
becken bilden, aus dem sich die künstlerisch Befähigten zu einer
höheren architektonischen Tätigkeit entwickeln können. Um das
Ziel zu erreichen, wäre es nötig, dem ehemaligen Baugewerk-
schüler den Zutritt zur Technischen Hochschule zu eröffnen. Aehn-
liche Forderungen sind in letzter Zeit wiederholt erhoben worden,
ohne daß jedoch dafür bis heute ein wirklich gangbarer Weg ge-
schaffen ist. Man kann sich des Gefühls nicht erwehren, daß die
Technischen Hochschulen fürchten, von den Universitäten über
die Achsel angesehen zu werden, wenn sie den Eintritt auch
solchen jungen Leuten gestatten, die nicht den Abgangsstempel
einer höheren Schule anfgedrückt erhalten haben.
Hier wird ein Punkt berührt, der von größter Bedeutung
ist und auf den etwas näher einzugehen nicht unterlassen werden
kann. Gewiß ist die in unserer heutigen Kultur festgelegte Aus-
bildung auf einer neunklassigen höheren Schule ein Mittel, zu
einer gutgegründeten Allgemeinbildung zu gelangen. Gewiß hat
sich der Besuch unserer höheren Erziehungsanstalten als Bildungs-
grundlage der sogenannten besseren Stände durchaus bewährt,
und gewiß sollte an dieser höheren Bildung nicht ohne dringende
Veranlassung gerüttelt werden. Aber es darf auch nicht vergessen
werden, daß sich die Zeitumstände, seitdem vor viereinhalb
Jahrhunderten dieses Bildungsideal errichtet wurde, gründlich
geändert haben. Die klassische Bildung bedeutet nicht mehr,
wie es zur Zeit des Humanismus der Fall war, eine restlose
Umschließung des geistigen Inhalts der Zeit. Neue Geistes-
tätigkeiten sind eingetreten und haben ihr Lebensrecht erwiesen.
Es fragt sich doch sehr, ob das Bildungsgut, das in der wissen-
schaftlichen Arbeit neuerer Art ruht, für die Allgemeinbildung