Full text: Zur Frage der Erziehung des künstlerischen Nachwuchses

so Ohne weiteres als nichtig betrachtet werden kann. Goethe 
in seiner klaren Erkenntnis alles zeitlich Bedingten und mit dem 
offenen Sinn für das Menschliche sagte in einem Gespräch mit 
Riemer: „Es ist keineswegs nötig, daß alle Menschen Humaniora 
treiben. Die Kenntnisse, historisch, ‚antiquarisch belletristisch 
und artistisch, die aus dem Altertum kommen und dazu gehören, 
sind schon so divulgiert, daß sie nicht unmittelbar an den Alten 
abstrahiert zu werden brauchen; es müßte denn einer sein Leben 
hineinstecken wollen. Dann aber wird diese Kultur doch 
wieder eine einseitige, die vor jeder anderen einseitigen 
nichts voraus hat, ja noch obenein nachsteht, indem sie 
nicht produktiv sein und werden kann.‘“ Und in den 
Wanderjahren ruft er aus: „Narrenpossen sind eure allgemeine 
Bildung und alle Anstalten dazu. Daß ein Mensch etwas ganz 
entschieden verstehe, vorzüglich leiste, wie nicht leicht ein 
anderer in der nächsten Umgebung, darauf kommt es an.‘“ Wie 
Goethe von Jugend auf das Handwerk würdigte und bewunderte, 
wie er in der Betätigung alles und in bloßer Wortgelehrsamkeit 
nichts erblickte, so ist das ganze Erziehungswerk, das in den 
Wanderjahren entwickelt wird, auf die praktische Arbeit begründet. 
„Für den geringsten Kopf wird es immer ein Handwerk, für 
den besseren eine Kunst, und der Beste, wenn er eins tut, tut 
er alles oder, um weniger paradox zu sein, in dem einen, was 
er recht tut, sieht er das Gleichnis von allem, was recht getan 
wird.“ Auch Pestalozzi ist schon damals, und zwar unabhängig 
von Goethe, mit seinen Erziehungsplänen von dem Satz aus- 
gegangen, daß die berufliche Arbeit die Grundlage aller mensch- 
lichen Bildung sein müsse. „Wir haben‘, so ruft er aus, „die 
Welt voll Schalköpfe gewiß dem Unsinn zu danken, mit welchem 
die Jugendjahre unserer Kinder von der Arbeit abgelenkt und 
zu den Büchern hingeführt werden.‘ Um so mehr ist es zu 
verwundern, daß solche, die Forderungen unserer Zeit gewisser- 
maßen vorausahnenden Gedanken ein Jahrhundert lang fast in 
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