Full text: Zur Frage der Erziehung des künstlerischen Nachwuchses

Schattenkonstruktion hat für den Architekten, der doch bauen 
soll, vollends keinen Zweck. Die Barockmeister haben glänzende 
Architekturbilder gezeichnet, ohne Vorträge an den Technischen 
Hochschulen über Perspektiven gehört zu haben. Dagegen wäre 
freie künstlerische Tätigkeit, etwa in der Art, wie sie auf der 
Kunstgewerbeschule im Aktzeichnen und Modellieren, Skizzieren 
und Malen im Freien, künstlerischer Darstellung von Außen- 
und Innenansichten getrieben wird, eine wünschenswerte Ver- 
vollkommnung. 
Gerade im Studium des Architekten, wie es sich heute in 
Deutschland abspielt, ist ein wichtiger neuerer Grundsatz noch 
zu wenig beachtet: den Begabten freie Bahn zu gewähren. 
Entnimmt man den architektonischen Nachwuchs, der sich zur 
höchsten Spitze entwickeln soll, lediglich denjenigen Kreisen, 
die in der Lage sind, ihren Kindern den Besuch einer höheren 
Lehranstalt angedeihen zu lassen, so muß man sich darüber 
klar sein, daß zum mindesten neun Zehntel der im Volke zer- 
streuten Begabungen unausgenutzt bleiben. Denn künstlerische 
Begabungen verleiht die Natur unabhängig vom Geldbeutel 
des Vaters. Maler und Bildhauer, Dichter und Musiker, Schau- 
spieler und Sänger können auch aus der Schicht der breiten 
Volkskreise emporsteigen. Architekten konnten das bis heute 
nur insofern, als sie auf den Stempel, den die höchste Aus- 
bildungsstelle verleiht, verzichteten. Denn diese höchste Aus- 
bildungsstelle ließ bisher nur solche Kreise zur abschließenden 
Hauptprüfung zu, die sich den Besuch einer höheren Schule 
leisten konnten. Daß auf der Technischen Hochschule außer 
den Studierenden auch Gastschüler geduldet werden, kann 
nicht als Lösung der Frage betrachtet werden. Jeder künst- 
lerisch Begabte darf, wenn es sich um die Ausbildung zum 
Künstler handelt, gleiches Recht beanspruchen. Heute, wo im 
Kampfe ums Dasein überall die Geistigkeit ausschlaggebend 
ist, muß es als höchster volkswirtschaftlicher Grundsatz be- 
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