Andächtigeresals Hausmusik, wie Dilettanten sie
noch in kleinen Städten pflegen; Beethoven wird
da mit Tränen in den Augen gespielt. Der Vir-
tuose, der in der großen Stadt konzertiert, weint
höchstens über die Konkurrenz. Jene haben ge-
wiß die reinere Gesinnung, aber dieser hat die
besseren Finger. Es gibt weihevolle Schauspieler,
denen aber die Rühruhg im Halse stecken bleibt,
und Windhunde, die, während ihr leidumflorter
Blick den Zuschauer unten betörend entrückt,
sich damit unterhalten, ihren Partner oben, gar
wenn eseiner von den weihevollen ist, mit Witzen
aus dem Text zu bringen. Ich möchte wetten,
Liebermann hat sein ganzes Leben noch nichts
von der Ergriffenheit gespürt, mit der irgendein
ungeschicktes Mäd] Blumen für die Großmama,
die bange Braut ein Kissen, „Nur ein Viertel-
stündchen!“, für den Geliebten stickt. Wer ist
nun der Echte: der Beethoven beweinende Di-
lettant oder der Virtuose, der dabei schon an die‘
Abrechnung mitdem Agenten denkt, der Weihe-
volle oder der Windhund, die Braut oder Lieber-
mann? Was ist überhaupt „echt“? Und wann
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Bahr
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