Die geschichtliche Entwicklung des freitragenden Holzbaues. 29
Anwendung dieser theoretischen Erkenntnis fehlte. Für die Fachwerkformen hatte
man ebenfalls gewisse Voraussetzungen bereits gewonnen; es war nämlich die nötige
begriffliche und statische Klarheit erreicht, und es war auch die Durchbildung der
Knotenpunkte wenigstens für Holz-Eisenkonstruktionen durchgehend einwandfrei
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7 ZU kg
Abb. 45. Versuch mit dem Bogen, belastet mit gleichförmig verteilten Gewichten. Die Kurve m—m gibt
die äußere Begrenzungslinie des Bogens vor dem Versuche wieder, die Kurve n—n dieselbe Linie eine
Stunde nach der Belastung des Bogens. Endlich stellt z-—r den Bogen im Augenblicke, wo der Bruch
begann, dar, was ungefähr 2 Stunden nach dem Aufbringen der Belastung eintrat.
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gelungen. Es fehlte jedoch noch bis in die neueste Zeit an Lösungen für die Knoten-
punkte von reinen Holzbindern, und den alten Bauwerken haftete vielfach der Fehler
des leichten Versackens an. Da man damals auch die Unbeständigkeit des Holzes
vielfach überschätzte (ebenso wie man sich von der Dauerhaftigkeit des Eisens
häufig zu viel versprach), und da das Eisen gerade für die Ausführung von statisch
klar durchdachten Fachwerken un-
streitig Vorzüge besitzt, trug in dem
Wettbewerb zwischen Holz und Eisen
das letztere für lange Zeit den Sieg da-
von!). Erst in neuerer Zeit haben sich
die Verhältnisse zugunsten des Holzes
geändert. Man ist wieder zur Auf-
nahme des Holzes als Baustoff für
zrößere Ingenieurbauwerke, insbeson-
dere für Dächer und Brücken, zurück-
gekehrt. Hierbei wurde der Faden der
Entwicklung an der damals liegengebliebenen Stelle wieder aufgenommen. Als die
beiden Hauptaufgaben des Holzbaues hatten sich am Schlusse der Entwicklung die
einwandfreie Ausbildung des Bogenbinders und die Lösung des hölzernen Fachwerk-
knotens herausgestellt. Dieser Aufgabe hat sich der durch die Kriegsverhältnisse stark
angeregte neuzeitliche Holzbau mit neuen Mitteln und gestützt auf die wissenschaft-
lichen Lehren der Statik und des Baustoffprüfungswesens mit Erfolg unterzogen.
1) In diesem Zusammenhang erscheint der Hinweis bemerkenswert, daß der in Kiefernholz erbauteDach-
stuhl und Turm der Thomaskirche zu Leipzig auf ein Alter von über ein halbes Jahrtausend zurückblicken
kann und daß bei diesem Bau gerade die eisernen Verbindungsmittel, wie Bolzen, Klammern und. Anker,
’egelmäßigin Abständen von einigen Jahrzehnten wegen des Rostangriffes erneuert werden müssen, während
lie hölzernen Zapfen, Keile und Dübel der ersten Anlage noch bis auf den heutigenTag sich erhalten haben.