22
Die andere kontinentale Hälfte wird in ihrer ganzen Ausdehnung von un—
regelmäßigen Bergsystemen eingenommen, deren nördlichste viel weiter nach
Norden und also näher zum Meere sich erstecken, als die entsprechenden Er—
hebungen der anderen norddeutschen Stromgebiete. Infolgedessen treten schon die
Grenzen beider Hälften in klimatischer Beziehung viel auffallender hervor, und
das Innere der südlichen Hälfte bietet äußerst reiche Mannigfaltigkeit und steten
Wechsel der meteorologischen Verhältnisse. Während in den Haupt-Thälern
etwa dieselbe Jahrestemperatur herrscht, wie in der nördlichen Hälfte — die
höhere und kontinentalere Lage kompensiert den Einfluß des höheren Sonnen—
standes —, sinkt sie mit dem Anstieg des Geländes, mit dessen Wellen unregel—
mäßig wechselnd, und geht, auf den höchsten Erhebungen bis auf fast 2 Grad
herunter, sodaß also die räumlichen Unterschiede im Jahresmittel mehr als
6 Grad betragen. Die jährliche Niederschlagshöhe kommt in den trockensten
Gebieten, d. i. einer Reihe tiefgelegener Flußthäler, den niedrigsten Werthen
der nördlichen Hälfte gleich, übersteigt aber in den höheren Theilen mehrerer
Berggruppen 100 em und beträgt im Maximum sicher mehr als 160 em, sodaß
also in der räumlichen Vertheilung des Jahresniederschlages Differenzen von
mehr als 1mm auftreten.
Auch im jährlichen Verlaufe von Temperatur und Niederschlag, in den
Extremen u. s. w. desgleichen aber auch bei den anderen klimatischen Elementen
zeigen Nord und Süd gegeneinander charakteristische Unterschiede, die in allen
Einzelheiten aufzuklären und zur Darstellung zu bringen die Aufgabe des vor—
liegenden Abschnittes ist. —
Die Witterungsverhältnisse wechseln in unregelmäßiger Weise, aber sie
pendeln innerhalb gewisser Grenzen um eine Mittellage, welche das Charakteristikum
des Klimas bildet. Die Klimatographie hat diese Mittellagen für die einzelnen
meteorologischen Elemente und für die einzelnen Jahresabschnitte festzustellen und
sie von Ort zu Ort mit einander in Beziehung zu bringen. Daß hierzu längere
Beobachtungen an einer Reihe von Punkten desjenigen Gebietes, dessen Klima
heschrieben werden soll, nöthig sind, wird demgemäß selbstverständlich erscheinen.
In unseren Breiten ist aber die Veränderlichkeit der Witterung derartig groß,
daß noch von keiner einzigen Station die vorhandenen Beobachtungsjahrgänge
genügen, um jene Mittellagen, meist Normalwerthe genannt, mit einer solchen
Genauigkeit zu bestimmen, wie man etwa die benutzten Beobachtungs-Instrumente
abzulesen pflegt. Man hilft sich bis zu einem gewissen Grade dadurch, daß man
für das ganze Gebiet die Normalwerthe aus demselben Zeitraume ermittelt.
Die Unsicherheit der absoluten Beträge bleibt zwar bestehen, aber die Unsicher—
heit liegt bei allen Orten eines nicht zu großen Gebietes nach der gleichen
Richtung, sodaß die klimatischen Unterschiede sehr viel mehr gewährleistet sind,
als die Normalwerthe selbst. Es gilt also die Forderung zu erfüllen, möglichst
lange und gleichzeitige Beobachtungsreihen zu verwenden. Mit Rücksicht auf
das vorhandene Beobachtungsmaterial erschien es hier zweckmäßig, wenigstens
für Temperatur und Niederschlag den Zeitraum 1851, 1890 zu Grunde zu legen,
wie es auch bei den Klimabeschreibungen der übrigen Stromgebiete geschehen ist.
Zwar wäre es im vorliegenden Falle angängig gewesen, den Zeitraum nicht