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1. Uebersicht. 2. Einwirkung der Nebenflüsse.
In der Stärke des durchschnittlichen Gesammtgefälles kommen unter den
bedeutenden Wasserläufen des Wesergebietes nur die Diemel und die Innerste
der Oker annähernd gleich; die Niederschlagsmengen aber sind im Harze größer
als irgendwo sonst im Wesergebiete, und so sind zwei der wirksamsten Ursachen
dafür vorhanden, dem Abflußvorgange der Oker ein stürmisches Gepräge zu geben,
zumal die Platte des Oberharzes grade im Quellgebiete der Oker viele Einschnitte
zeigt, die den Ablauf des Wassers beschleunigen. Allein wohl in keinem anderen
Gebietstheile der Weser sind die verschiedenartigsten Gegensätze auf so engem
Raume vereint wie bei der Oker. So läßt der Oberlauf des Flusses von dessen
gesammter Fallhöhe nur den kleinen Rest von 40 moder 50,0 übrig, und die
mittlere und untere Flußstrecke ist in ein Gelände gebettet, das, offenbar im
Regenschatten der Lüneburger Heide gelegen, zu der niederschlagärmsten Zone des
ganzen Wesergebietes gehört. Auch die am Mittellaufe des Flusses zahlreich vor—
handenen Abflußhindernisse tragen dazu bei, das Ungestüm der Hochwasserwellen
zu brechen und durch die Dehnung der Fluthwellen die größten sekundlichen Ab—
flußmengen wohl nicht über 300 cbm,sec anwachsen zu lassen, und so bleibt die auf
die Flächeneinheit bezogene Abflußzahl für das größte Hochwasser bei der Oker
bedeutend kleiner als bei der Diemel oder gar bei der Eder, deren Gebiete freilich
im Ganzen sehr viel bergiger sind.
Am häufigsten kommt es im Hochsommer vor, daß im Harze große Regen—
mengen in ganz kurzer Zeit fallen, wodurch die Hochwasser in dieser Jahreszeit ganz
besonders stürmisch werden. Doch treten auch gegen das Ende des Winters zuweilen
recht bedeutende Hochfluthen auf, die durch eine Vereinigung von Regen- und
Schmelzwasser hervorgerufen werden. Sonst macht sich eine Zunahme der Hoch—
wassererscheinungen namentlich im Dezember geltend, der im Harze fast ebenso viel
Niederschlag hat wie der Juli; doch erreichen die Hochfluthen im Dezember durch—
schnittlich nicht ganz die Höhe derer der Sommermonate, wohl deshalb, weil die
Unwetter des Dezember auf dem Gebirge selbst meist in Schneestürmen bestehen.
Die wenigsten Hochwasser weisen dagegen die Monate April und Oktober und
November auf; doch ist dies bei letzteren mehr Zufall.
In der mittleren jährlichen Wasserstandsbewegung kommt das Ausftreten der
Hochwasser nur etwas versteckt zum Ausdruck, was bei Gebirgsflüssen oft zu be—
merken ist. Doch zeigen die monatlichen Mittelwerthe deutlich, daß die Wasser—
führung vom März bis zum September durchschnittlich immer geringer wird.
In besonders trockenen Sommern betrug die mittlere monatliche Abflußmenge bei
Braunschweig manchmal weniger als 1 chbm,sec; im Winterhalbjahre ist dagegen
nur selten über Wassermangel zu klagen.
Die Seitengewässer der Oker unterscheiden sich in ihrem Abflußvorgang
ebenso scharf von einander wie deren eigene Flußstrecken. In den Harzbächen,
unter denen besonders die Gose, die Radau mit der Abbe, vor Allem aber
die Ilse anzuführen sind, erfolgt der Abfluß des Hochwassers ebenso rasch wie
III. Abflußvorgang.