Heiligenstadt.
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die Neustadt mit der „windischen Gasse“ und in dieser die dem heiligen
Ägidius geweihte Pfarrkirche erbauen. Hier wohnten die Wenden, die als Hörige
in zahlreichen Orten Thüringens und des KEichsfeldes von den Herren angesiedelt
wurden. Die Ägidienkirche behielt ihr Erbauer, Erzbischof Siegfried II., sich
vor. Das Heiligenstädter Martinsstift erblickte darin eine Schmälerung des Pfarr-
rechts seiner Liebfrauenkirche, weshalb sich der Stiftspropst Heinrich bei dem (1230
zur Regierung gekommenen) Erzbischof Siegfried III. beschwerte und von diesem
erlangte, daß er dem Martinsstift das Patronatsrecht der Ägidienkirche übertrug.
Durch seinen Vitztum Dietrich (von Hanstein) zu Rusteberg ließ Erzbischof
Siegfried II. um die ganze, nunmehr aus Altstadt und Neustadt bestehende Stadt
Heiligenstadt einen Graben führen, wie der Erzbischof selbst in einer Urkunde
vom Jahre 1227 sagt. Daß er auch die
Stadtmauer damals hat erbauen lassen,
ergibt sich daraus, daß Erzbischof Sieg-
fried III. sie in einer Urkunde 1244 er-
wähnt, als er dem Martinsstift einen Hof
bei der S. Laurentiuskapelle (nordwestlich
von der Martinsstiftskirche) in Heiligen-
stadt und einen Weinberg „extra muros“
schenkte. Außerdem verlieh Erzbischof Sieg-
fried II. Heiligenstadt das Stadtrecht
und ein Stadtsiegel. Es zeigt die Um-
schrift: + SICILLEM BURGANSINTM
HEILGENSTAT (s. Abb. 75) und im Siegel-
felde einen mit der Inful geschmückten,
reitenden Bischof (der am linken Arm einen
Schild mit dem Mainzer Rade und in der
rechten Hand eine Fahne mit dem gleichen Bild trägt. Dahinter ist eine Zinnen-
mauer mit Turm. Dieses Bischofsbild stellt den Verleiher des Stadtrechts und
Stadtsiegels, den Landesherrn Erzbischof Siegfried II. von Mainz, dar — nicht aber,
wie Wolf in seiner Geschichte von Heiligenstadt S. 17, S 9 meint, den Heiligen-
städter Stiftspatron S. Martin. Der Irrtum rührt daher, daß das Stadtsiegel auf
Abb. 73 den Ritter S. Martinus mit dem Bettler darstellt. — Das Stadtsiegel ist
1261 einer Urkunde angehängt; der Rat führte ein großes und ein kleines Siegel.
In der Zeit der Gründung der Neustadt und Erhebung Heiligenstadts zur
Stadt wird das in der Rathausgasse auf der Grenze der Altstadt und Neustadt
stehende zweitälteste Rathaus erbaut worden sein, und zwar an dieser
Stelle, weil es gemeinschaftliches Rathaus für die Altstadt und Neustadt sein
sollte. Das älteste Rathaus diente fortan (nach $ 32 des „Einworts“ von 1554)
als „Kaufhaus oder Tanzhaus“. — Der in Abb. 73 dargestellte „Abriß“ des
M. Joh. Fluk von 1646 zeigt noch das zweite Rathaus in der Rathausgasse, da-
gegen in der Neustadt „den Weinkeller‘, welcher auf dem in Wolfs, Geschichte
von Heiligenstadt befindlichen „Grundrisse von Heiligenstadt im Jahre 1800"
als — drittes und jetziges — „Rathaus“ bezeichnet wird.
Nach erfolgter Umschließung der Stadt Heiligenstadt durch Mauer und
Graben wird 1239 der Südteil der Stadt als „novum oppidum“, und beide Teile
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