Kreis Grafschaft Wernigerode.
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Jüngere Anbauten. An der Ostfront hinten wurde 1584 ein kleiner,
ebenerdiger Erkerbau in Fachwerk ausgeführt, der den inzwischen ganz ver-
snderten Holzstil der Renaissance in musterhafter Weise zeigt. Die Ständer sind
als kanellierte Pilaster, die Balkenköpfe als Kapitäle gearbeitet. Die Brüstungs-
felder sind mit Blendarkaden in Bohlenwerk umkleidet. Auf dem geschwungenen
Dach erhebt sich eine kleine Ädikula, von Simsen und Pilastern eingefaßt, in
den Feldern Muschelnischen. Technisch ist alles vorzüglich, die Ornamente nicht
wie in der Verfallzeit angeklebt, sondern aus dem vollen Holz gestochen, so
selbst die Vertiefungen und die Kämpfer der Arkaden. Das Häuschen diente
zur Erweiterung der dahinterliegenden Ratsstube. — Auf derselben Seite vorn
wurde um 1700 ein größerer Anbau von drei Gelassen gemacht, der im zweiten
Geschoß nach der Nordseite einen dreifenstrigen Erker: auf freien Holzsäulen
trug, das Fachwerk ganz schlicht. (Abb. 127.) Um Platz und Licht zu gewinnen,
wurde er bedauerlicherweise 1874 abgetragen. — Gleichzeitig — 1699 — wurde
das kecke, runde Dachreiterchen mit offener Laterne und runder Dachhaube
aufgesetzt, streng genommen störend für den Umriß und die Reinheit des Stils.
Aber gerade der bewußte Gegensatz der Formen versöhnt mit der an sich so
liebenswürdigen Schöpfung.
1698 ward im Hof rechtwinklig an das Waghaus ein kleines Wohnhaus
(für den Ratsdiener?) angesetzt, an welchem der unverfeinerte, bäuerliche Fach-
werkstil auftritt. Im Vergleich mit dem Erker von 1584 kann man von einer
kräftigen Reaktion reden. Zwar die Vorkragung ist nur gering, die Saumschwelle
nur schlicht gekehlt, und Streben fehlen ganz. Die Brüstungsfelder sind dagegen
mit jener reichen Kombination von Andreaskreuzen mit Rauten gefüllt, denen
wir am Faulbaumschen Hause wieder begegnen.
Im Besitz der Stadt: Schützenkleinod von 1578 in Form eines silbernen
Papageis mit Wappen und Namen der Meisterschützen von 1571—1584. Jacobs
in Ztschr. Harzv. 20, 256 u. Abb.
Bürgerhäuser.
Ed. Jacobs, Alt-Wernigerode, Festschrift zur 40jahrfeier des Harzv. für
Gesch. u. Alt. 1908.
Wernigerode ist noch jetzt eine fast völlige Holzstadt. Nur haben die
großen Brände von 1528, 1751 und 1847 mit dem älteren Bestande furchtbar
aufgeräumt. Anderes ist durch übel berechnete Neuerungssucht gefallen, so die
Umgebung des Marktes und der alten Ritterstraße und selbst die wenig geretteten
Musterbeispiele haben noch in jüngster Zeit störende Eingriffe erfahren. Einen
gewissen Ersatz bieten hierfür die Zeichnungen von Malern und Kunstliebhabern
wie G. H. Crola (1804—1879) und dessen Gattin Elise, geb. Fränkel, R. Riefen-
stahl (1823—1908), die drei Schwestern Ewald, Fr. L. Kevser, Architekt Eulert,
Gustav Sommer u. a.
Einige Vorbemerkungen über die soziale Grundlage des bürgerlichen Bau-
wesens werden das Verständnis der nachfolgenden Beschreibungen erleichtern.
Nach der Stellung der Erbauer unterschied man drei Gruppen, Freihäuser,
Brauhäuser und Kothäuser. 1786 gab es 628 Häuser und 158 Scheunen,
davon waren 27 Freihäuser, 148 Brauhäuser, das übrige waren Kothäuser. Eine